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Quelle: themoviedb.org

Inhalt

Schweden, Anfang der 1940er: Der Gymnasiast Jan-Erik steht kurz vor seinem Abschluss und leidet wie so viele seiner Mitschüler unter den sadistischen Methoden seines Lateinlehrers, von ihnen nur „Caligula“ genannt. Er beginnt ein Verhältnis mit Bertha, einem den Männern und dem Alkohol nicht abgeneigten Mädchen mit zweifelhaften Ruf, welches von einem Stalker belästigt wird. Wie sich herausstellt, handelt es sich dabei um Caligula.

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Quelle: themoviedb.org

Kritik

Ingmar Bergman (Persona) zählt zweifelsohne zu den wichtigsten und besten Filmschaffenden bis heute („aller Zeiten“ klingt immer so absolut, aber selbst das wäre hier nicht unangemessen) und Die Hörige bildete den Anfang einer beispiellosen Karriere. Noch nicht (direkt) auf den Regiestuhl, denn er lieferte lediglich das Script, inszeniert wurde das Ganze von Alf Sjöberg (Fadern). Allerdings übernahm Bergman bei einigen Szenen (den wenigen, später gedrehten Außenaufnahmen) auch die Regie, was nicht in den Credits gelistet wird. Somit neben seiner Premiere als Spielfilmautor praktisch auch sein kleines Regiedebüt. Ob nun direkt oder indirekt, Die Hörige ist trotzdem ein waschechter Bergman durch und durch und erweist sich speziell durch seinen Entstehungszeitraum als bemerkenswert mutige wie hintergründige Mixtur aus autobiographisch geprägtem Coming-of-Age-Drama, kritischer Sozial- wie Systemstudie und ganz besonders einer Allegorie auf das aktuelle Weltgeschehen. Die aus heutiger Sicht erst noch deutlicher zu Tage tritt, als vermutlich zu seiner Premiere.

Jan-Erik (Alf Kjellin, Die Sieger), ein Pennäler wenige Wochen vor dem Abitur, versucht tugendhaft den hohen Erwartungshaltungen von allen Seiten standzuhalten. In seinem von strenger Hierarchie geprägten Elternhaus gibt es wenig Verständnis für Abweichungen von Status Quo, der in deren gesellschaftlicher Situation nichts Geringeres voraussetzt als das absolute Optimum. Da werden schon geringe Formfehler zur Gewissensfrage, familiäre Werte wie Liebe, Geborgenheit und Verständnis sind Etikettenschwindel. Leistung, Makellosigkeit und blinder Gehorsam sind gefordert, daheim wie auch auf der Schule. Ganz speziell im gefürchteten Lateinunterricht von „Caligula“ (Stig Järrel, Die Jungfrauenbrücke). Einem Lehrer, dem es weniger um das Vermitteln von Wissen geht, sondern eher darum seine Überlegenheit zu demonstrieren und die Schwachstellen seiner Untergegeben gnadenlos an den Pranger zu stellen. Gerade der sensible, angreifbare Jan-Erik ist da ein gefundenes Fressen. Geprägt von all dieser vorgegebenen Perfektion strebt dieser natürlich auch für seine Zukunft nur eine Liebesbeziehung voller Reinheit und Tadellosigkeit an. All das wird über den Haufen geworfen, als er die volltrunkene und verstörte Bertha auf der Straße antrifft und in ihre Wohnung begleitet. Das „leichte Mädchen“ wird seine erste, echte Liebe, hat aber neben ihren gesellschaftlichen Lastern noch mit einer ganz besonderen Bedrohung zu kämpfen: Einem sadistischen Stalker, der sie sukzessiv in den Wahnsinn und noch viel tiefer in die bereits vorhandene Suchtproblematik treibt. Wie sich herausstellt, verbinden die Beiden nicht nur ihre gemeinsame Zuneigung, sondern noch mehr ihre gemeinsame Nemesis.

Die Hörige berichtet in erster Linie natürlich anhand eines drastischen Lehrer/Schüler-Konflikts über Machtmissbrauch und ein totalitäres wie unmenschliches Leistungsprinzip, das nicht an pädagogischer Charakterentwicklung, sondern nur an elitärer Selektierung interessiert ist. Wer nicht entsprechend funktioniert, wird (gesellschaftlich) aussortiert. Bergman ließ persönliche Erfahrungen aus der eigenen Schulzeit mit einfließen, was ihn schon auf der rein oberflächlichen Erzähleben authentisch und wirkungsvoll gestaltet. Wirklich interessant wird das inszenatorisch markant am deutschen Expressionismus angelehnte Werk (in seiner düster, ausdrucksstarken Bildsprache passagenweise bald mehr Stumm- als Tonfilm) jedoch erst durch seine direkten Verweise auf das Geschehen direkt vor der schwedischen Haustür. Wie schon damals besonders auffällig erinnert die Figur des Caligula nicht nur optisch an SS-Reichsführer Heinrich Himmler, er soll genau dessen trügerisches Erscheinungsbild verkörpern. Ein harmloser Biedermeier-Onkel mit der Seele eines Teufels aus gutem Hause. Mit der Intelligenz, Bildung und dem rhetorischem Geschick ausgestattet, um seinem sadistischen Treiben unter dem Deckmantel einer höheren, guten Sache freien Lauf zu lassen.

In der entscheidenden Phase des Zweiten Weltkrieges liefert ein noch unbekannter Ingmar Bergman eine treffsichere, analytische Metapher auf das, was da draußen vor sich ging. Caligula als das despotische Grauen des überlegenen, Dritten Reichs. Der seine Macht aus Furcht und Dominanz generiert, aber flehend niederknien wird, wenn ihm sein Nährboden entzogen wird. Jan-Erik als das mittlaufende Volk, brav Befehlen und vorgesetzten Paradigmen folgend, bis er den Teufelskreis aus blindem Nicht-denken durchbricht. Und Bertha als eine Personifizierung der unzähligen Opfer, die nicht stark oder wichtig genug waren, damit ihre Hilfeschreie rechtzeitig gehört wurden. Eine Szene – in der Caligula mit seinem gutmütigen, kurz vor der Pension stehenden Kollegen in heftigen Disput um die Methoden ihrer Arbeit gerät – könnte genauso gut als politischer Diskurs betrachtet werden. Wer weiß, wie Hitler und von Staufenberg kurz vor der Amtsübergabe hinter verschlossenen Türen noch diskutiert haben. In der Kreation von vermeidlichen wehrlosen Feindbildern schlummert meist ein verborgener Minderwertigkeitskomplex,  was der Film nicht nur final und im übertragenen Sinne auch ambivalent demonstriert.

Fazit

Ein historisch spannendes, progressives Gesellschaftsdrama, das sowohl politisch wie ethisch sehr klar Position bezieht. In einer Zeit, als das in Europa alles andere als selbstverständlich war. Von Ingmar Bergman bei seinem Spielfilmdebüt bereits differenziert und kontrovers analysiert, allerdings noch nicht inszeniert. Alf Sjöberg‘ Licht soll nicht unter den Scheffel gestellt werden. Er ist mit seiner klassisch-düsteren Interpretation stilistisch interessant aufgestellt. Gegen Bergman’s eigene, von bohrender Intensität geprägte, späteren Arbeiten ist das halt (noch) ein Klassenunterschied. Aber ein relativ geringfügiger.

Kritik: Jacko Kunze

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