Inhalt
Der junge Arzt Benjamin Stone ist unterwegs nach Los Angeles, wo er seinen neuen Job als Schönheitschirurg antreten will. Er verläßt den Highway, um einem Stau auszuweichen, und landet bei einem Crash in einem Vorgarten der kleinen Stadt Grady. Er wird zu Sozialarbeit im örtlichen Krankenhaus verdonnert. Anfangs will er nur schnell weg, doch die Einwohner scheinen den neuen Doktor zu mögen, und dann ist da noch die hübsche Krankenwagenfahrerin Lou.
Kritik
Früher, in seligeren Zeiten, war es ein Frank Capra, der sich mit Filmen wie „Mr. Deeds geht in die Stadt“, „Mr. Smith geht nach Washington“ und „Hier ist John Doe“ dem ausbeuterischen Gemüt der urbanen Politik, dem bodenlosen Kapitalismus einen Strich durch die Rechnung zu machen versuchte und Landeier wie Tagediebe die karrieristische Welt der völlerischen Großunternehmer auf den Kopf stellen ließ. Gehuldigt wurde dem Kino des Frank Capra mehrfach, so brillant wie es die Coen-Brüder mit ihrem märchenhaft-surrealen, in ihrer Vita leider oftmals übergangenen „Hudsucker“ 1994 getan haben, hat es allerdings kein Künstler geschafft – Was natürlich auch verdammt schwer ist, angesichts dieser euphorisierenden, von genuiner Cineastik durchzogenen Liebeserklärung an das Medium selbst. Es gibt da allerdings noch eine weitere, ebenfalls relativ unscheinbarere Produktion, die ihre Affinität für das Œuvre des Frank Capra beim besten Willen einfach nicht verheimlichen kann: „Doc Hollywood“ von Michael Caton-Jones.
Michael Caton-Jones, der mit dem hervorragenden Jugend-Drama „This Boy's Life“ den wohl größten Treffer seiner Karriere gelandet hat, und sein vierköpfiges Drehbuchteam um Laurian Leggett, Jeffrey Price, Daniel Pyne und Peter S. Seaman stellen uns in der Exposition Protagonistin Benjamin „Ben“ Stone vor (Michael J. Fox, „Zurück in die Zukunft“), der sich nicht weiter in einer Notaufnahme in Washington den Buckel krumm schuften möchte, sondern als plastischer Chirurg in Beverly Hills durchzustarten versucht – Die Chance auf ein Vorstellungsgespräch immerhin hat er bereits, was gleichzeitig den Unmut seiner Kollegen auf sich gezogen hat. Ben hat den Idealismus hinsichtlich seines Berufes schon lange verloren und zeigt sich viel interessierter an dem ganzen Mammon, der auf ihn herabregnen wird, wenn er das Skalpell in einer renommierten Schönheitsklinik für Stars schwingen wird: Er präferiert Brustvergrößerung und Botoxbehandlungen in Repetition anstatt spontane Notoperationen und schweißtreibenden Reanimationsmaßnahmen.
Wie das Schicksal es dann aber eben so will, braust Ben in seiner Überheblichkeit erst durch eine Straßensperre, hinter der er sich eine Abkürzung versprochen hat, um im nächsten Moment schon den weißen Gartenzaun des Richters der Kleinstadt Grady mit seinem flotten Sportwagen zu schrotten. 32 Stunden Sozialarbeit im lokalen Krankenhaus sind die Folge und genau in dem Augenblick, in dem die Strafe verhängt wurde, ist „Doc Hollywood“ eigentlich komplett vorhersehbar, folgt einer ungemein konservativen Moralvorstellung und schert sich kein Stück darum, Überraschungen in sein altmodisches Narrativ einzubauen. Aber „Doc Hollywood“ will altmodisches Kino sein, er will später nicht als Film gelten, der eine Genre-Revolution einleitete, an der sich alles Nachfolgende zu messen hat. Er zollt der goldenen Ära Tribut und appelliert in all seiner Herzenswärme an ethische Tugenden, in dem er den Menschen einfach Mensch sein lässt, anstatt ihn zum Fragment einer ausbeuterischen Maschinerie zu verdammen: Das Leben ist lebenswert, man darf nicht nur den Fehler machen, Geld als Treibstoff der Glückseligkeit zu definieren.
Ben, ein Yuppie wie er aus dem Buche steht, neunmalklug und hochnäsig, verschreckt von den simplen Gepflogenheiten der Kleinstadt, muss erst einmal wieder „Leben lernen“, muss die wichtigen Dinge im Leben näher gebracht bekommen und die Dollarzeichen mit einem kräftigen Nackenschlag von den verstrahlten Linsen katapultieren. Helfen wird ihm dabei Lou (Julie Warner, „Flatliners“), die in ihrem ersten Auftritt Bondgirl-mäßig wie eine Nixe aus dem Badesee emporsteigt und Ben mit ihrer koketten Art die Sprache verschlägt: „Wenn sie Arzt sind, gibt es nichts, was sie nicht zuvor gesehen haben!“. Schön an „Doc Hollywood“ ist sein Verzicht auf überbordendes Kitschgeplänkel, konzentriert er sich doch darauf, ein wirklich romantisches Prickeln zwischen Ben und Lou zu erzeugen denn ihre Zusammenkunft zunehmend in theatralischen Gesten zu erschöpfen. Vor einer etwas, naja, „eigenwilligen“ Szene, in der gemeinschaftlich auf Büsche, Bäume und Pflänzchen im Sinne des Naturschutzes uriniert wird, schützt das dennoch nicht. Michael Caton-Jones zeigt sich mit „Doc Hollywood“ für ein wirklich schönes Filmerlebnis verantwortlich, welches genüsslich von seinem vitalisierend-urigen Charme zehrt.
Fazit
Michael J. Fox liest Analphabeten private Briefe vor, rettet Schweine vor dem Schlachter und puhlt Miniaturautos aus den Ohren von Kindern, während er als Großstadtyuppie auf dem Land langsam in den Geschmack der wertvollen Dinge im Leben kommt. „Doc Hollywood“ ist capraeskes und damit selbstredend charmant-sympathisches Wohlfühlkino. Der perfekte Film für den verregneten Sonntag.