MB-Kritik

Drowning Dry 2024

Paulius Markevicius
Gelmine Glemzaite
Agne Kaktaite
Giedrius Kiela

Inhalt

Gian kämpft gegen die Dunkelheit an, die durch plötzliche Amnesie verursacht wird. Miriam, die Tochter, die er nicht erkennt, gibt ihm ein Tagebuch, das er in seinen Zwanzigern geschrieben hat und das sich um Leila dreht, ein Mädchen, mit dem er im Laufe einer Nacht die Liebe entdeckte. Dies verschlimmert Gians Schmerz, drängt ihn jedoch dazu, wieder zu sich selbst zu finden.

Kritik

Sicherheit, ob auf körperlicher, emotionaler oder materieller Ebene, ist nur eine naive Illusion in Laurynas Bareisas zweiter Spielfilmarbeit. Diese rekapituliert in Bildern von dokumentarischer Sachlichkeit das Zerbrechen zweier miteinander verbundener Familien, für die ein vermeintlich abgewendetes Unglück ein tragisches Nachspiel hat. Der auf einen konkreten Vorfall innerhalb der auf zwei Zeitebenen verteilten Handlung bezogene internationale Verleih-Titel gewinnt psychologische und partnerschaftliche Parallelen als sinnbildhaftes Synonym für die scheinbar aus dem Nichts auftretenden seelischen Spätfolgen traumatischer Erlebnisse. 

Davon gibt gleich mehrere in der schleppenden Story. Die beginnt mit Einem ambivalenten Sieg, der auf die Kernthemen vorausdeutet. Martial-Arts-Profi Lukas (Paulius Markevičius, Hilma - Alle Farben der Seele) gewinnt einen Wettkampf, worüber sich seine durch die Gewalt verstörte Frau Ernesta (Gelminė Glemžaitė, Überlebende des Sommers) nicht wirklich freuen kann. Zur Feier fährt das Paar mit seinem Sohn, Ernestas Schwester Justė (Agnė Kaktaitė) und deren Familie an den See. Ein Schwimmunfall Justes kleiner Tochter Urte geht glimpflich aus, doch später kriegt das Mädchen plötzlich Atemnot. 

Der bis zu diesem Angstszenario weitgehend geradlinige Verlauf zersplittert in der zweiten Hälfte, die einen späteren Verkehrsunfall in Rückschau behandelt. Vorangehende Szenen, die Ernestas Umgang mit dem erlittenen Verlust thematisieren, lassen sich erst jetzt einordnen. Diese unnötig verkomplizierte Struktur torpediert nicht nur Spannung und Dramatik, sondern untergräbt das Identifikationspotenzial. Grund dafür scheint paradoxerweise Bareisas eigene Über-Identifikation mit dem Geschehen, das auf einem ähnlichen Unfall seines kleinen Sohns basiert. Filmische Selbsttherapie macht nicht automatisch gutes Kino.

Fazit

Der Originaltitel bedeutet „Schwestern“ und rückt statt des Motivs trügerischer Stabilität die weiblichen Hauptfiguren in den Mittelpunkt. Interessante Motive und ambitionierte Figurendynamik machen Laurynas Bareisas bedächtiges Beziehungsdiagramm indes nicht kinematischer. Die in der Position eines unbeteiligten Zuschauers verharrende Kamera, die der Regisseur und Drehbuchautor wie in seinen vorherigen Werken selbst übernimmt, erinnert an eine dröge Dia-Schau. Mittelmäßiges Schauspiel und bewusste Distanz im figürlichen und räumlichen Sinn geben selbst den dramatischsten Momenten die gelassene Gleichgültigkeit eines Familienfotoalbums.

Autor: Lida Bach
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