MB-Kritik

ETERNAL YOU – Vom Ende der Endlichkeit 2024

Drama

Inhalt

Was wäre, wenn der Tod eines Menschen nicht das Ende seines Lebens bedeuten würde? Wenn Ihre Liebsten noch mit Ihnen sprechen könnten, wenn ihr Körper längst eingeäschert wurde? Was wie das Szenario eines Science-Fiction-Films klingt, wird von Unternehmen bereits angeboten. Mithilfe von KI erstellen Startups Avatare verstorbener Menschen, damit ihre Angehörigen mit ihnen interagieren können.


Kritik

Er möge gruselige Sachen, sagt einer der Protagonisten Hans Blocks und Moritz Riesewiecks beklemmender Doku in einer jener Szenen, deren verstörende Implikationen nur subtil anklingen. „If one of these you goosebumps, I like goosebumps“. Es ist nicht nur eine der Simulationen, die Start-Up-Gründer und IT-Entwickler wie Justin Harrison weiter perfektionieren, die unheimlich wirkt, und was die - zumindest nach dem augenscheinlichen Empfinden der Kundschaft - täuschend echten Avatare Verstorbener auslösen, ist kein wohliger Schauer, sondern ethisches Entsetzen. 

Dabei kratzt das zweite Langfilm-Projekt des Regie-Duos, dessen Debüt The Cleaners bereits in digitale Abgründe blickte, nur am destruktiven Potenzial der makaberen Monetarisierung menschlicher Verluste seitens Unternehmen wie Harrisons You, Only virtual oder Jason Rohrers December Project. Sie lassen Kundschaft mit einer Bot-Simulation der Toten chatten. Der im Original gezeigte Austausch besteht aus personalisierten Phrasen, deren Wirkung in affirmierender Form genauso bedenklich ist wie in aggressiver. AI hat keine moralischen Bedenken - ihre Entwickler auch nicht.

Gesellschaftliche Faktoren wie die Tabuisierung von Trauer, Vereinsamung sowie finanzielle Hürden zu professioneller psychologischer Unterstützung spielen modernen Resurrection Men in die Hände. Eine Nutzerin liest Exorcist-Style, ihr Partner sei in der Hölle. AI kann traumatisierten, manipulieren, zu Gewalt gegen sich oder andere antreiben. Oder endlosem Konsum des Produkts, das zugleich sein perfekter Verkäufer ist. Darauf verweist eine*r der Kritiker*innen, die indes weder das offenkundige Betrugsrisiko diskutieren, noch die Datenschutz-Aspekte oder den historischen Hintergrund. 

Was, wenn Verstorbene nicht simuliert werden wollten? Wer behält die Daten? Avatare, auch Lebender, sind wie geschaffen für Scams. Buchstäblich, denn das Wiedersehen Toter ist eine Täuschung, wenn auch selbstvorgegaukelt wie Religion, zu der Technologie-Kritikerin Sara M. Watson eine treffende Parallele zieht, und nichtmal ein neues Geschäftsmodell. Im späten 19. Jahrhundert boomten Séancen und Spiritismus dank des gleichen Versprechens: noch einmal einen Verflossenen sehen, ein letztes Gespräch, Abschied nehmen. Nur das Medium hat sich geändert.

Fazit

Wohin kommen Menschen, wenn sie sterben? Ins Internet - sagt einer der User der ambivalenten AI-Technologie, die Hans Blocks und Moritz Riesewiecks differenzierter Dokumentarfilm untersucht. Die unterschwelligen Implikationen der Antwort sind emblematisch für die kompakte Inszenierung, die fokussiert und fernab von Sentimentalität und Sensationalismus emotionale Effekte und Gefahrenpotenzial digitaler Wiedergänger betrachtet. Prägnante Interviews mit Skeptiker*innen und Unternehmern beleuchten das komplexe Thema von verschiedenen Seiten und lassen dennoch zu viele historische und psychologische Facetten im Dunkeln.

Autor: Lida Bach
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