Inhalt
Inm blutigen England der Tudor-Ära muss die Katherine Parr, sechste und letzte Frau des gefürchtete Henry VIII., die Launen ihres brutalen Gatten und misstrauische politische Rivalen navigieren. Als der von Krankheit schwer gezeichneter König vom Feldzug in Übersee zurückkehrt, richten sich sein Zorn und seine Verdächtigungen gegen seine Ehefrau. Als Katherines Kindheitsfreundin Anne wegen Kätzerei hingerichtet wird, muss die junge Königin all ihre List und Intelligenz einsetzen, um ihren radikalen Glaubensgrundsetzen treu zu bleiben - und nicht wie ihre Vorgängerinnen auf dem Schafott zu landen.
Kritik
Es ist nahezu unmöglich, frisch aus der Cannes Vorführung Karim Aïnouz (A Vida Invisível) düsterem Historiendrama zu kommen, und nicht hingerissen zu sein von dessen berauschender Bildhaftigkeit. Letzte ist wörtlich zu begreifen als eine museale Monumentalität, die Helen Scotts Produktionsdesign und Michael O’Connors Kostüme zur Hauptattraktion machen. Kamerafrau Héléne Louvarts arrangiert die bestechend detaillierten, im Gegensatz zu Jessica und Henrietta Ashworths Drehbuch historisch bemerkenswert exakten Kleider und Kulissen zu einer von Malerei und Ikonographie der Handlungsära inspirierten Gemäldegalerie.
Deren kunstsinnige Kombination von Spätgotik, Renaissance und Romantik spiegelt subtil den ideologischen Konflikt im Zentrum des geschichtlichen Geschehens. Als hochgebildete Staatsfrau und Protestantin verkörpert Henry VIII. sechste Gattin Katherine Parr (Alicia Vikander, Irma Vep) mit ihrer weiblichen Entourage den Geist der Aufklärung. Ihr herrischer Gemahl (in monströser Maske: Jude Law, Loving Highsmith), der Katherines kirchenkritische Kindheitsfreundin Anne Askew (Erin Doherty, Chloe) auf den Scheiterhaufen schickt, und seine alten Staatsmänner stehen für finsterstes Mittelalter, das wie der sterbenskranke König lebendig vermodert.
Die zeitgenössischen Anklänge sind unübersehbar, wenn der aufbrausende Monarch nach jungen Frauen lechzt und sich brüstet, diejenigen, die ihn „verraten“ abzusägen. Dennoch bleibt der Tudor-Thriller stets auf dem psychologisch geschliffenen Parkett eines mörderischen Strategiespiels. Darin ist keine der Figuren frei von der machivalellistischen Moral der blutrünstigen Ära, personifiziert durch Henry, durch dessen Perversion und Paranoia momentweise sein früheres Wesen durchblitzt. Das überzeugende Schauspiel gibt den prägnanten Persönlichkeiten selbst für die allzu freimütigen Geschichtsumdeutungen genügend Authentizität.
Fazit
Basierend auf Elizabeth Fremantles Roman Queen's Gambit entwirft Karim Aïnouz ein fesselndes Machtspiel, das mit seiner unbeugsamen Protagonistin eine der zahllosen zu Statistinnen reduzierten Frauenfiguren in den Mittelpunkt rückt. Die in grandiose Gotik-Tableaus gegossene Inszenierung positioniert die unberechenbaren Ausbrüche des Monarchen als Gegenpunkt der unterdrückten Gefühle seines Umfelds. Stimmungsvolle Sinnbilder und Soundtrack begleiten die hintergründige Handlung, deren schwelende Spannung sich bis zum unvermeidbaren Ausbruch steigert. Einzig der kalkuliert revisionistische Schlussakt überschattet das mörderische Monarchietheater.
Autor: Lida Bach