Inhalt
Die Kunst des jungen Mannes François besteht darin, zwei Frauen gleichzeitig zu lieben, seine sanfte Ehefrau Thérèse und die junge Postangestellte Émilie. In sanften Pastelltönen entlarvt Agnès Varda das bürgerliche Idyll in einer egozentrischen Welt.
Kritik
Sie gilt als Großmutter der Nouvelle Vague, ist auf jedem Festival ein gerngesehener Gast und hat die Kunstform Film nachweislich geprägt. Nichtsdestotrotz ist Agnes Varda (Mittwoch zwischen 5 und 7) abseits einer kleineren Blase cinephiler Bewunderung den wenigsten Zuschauern ein Begriff. Unverdient, aber dennoch verständlich. Schließlich sind ihre Werke oftmals nur schwer zu greifen, erfordern ein hohes Maß an Sensibilität und Offenheit. Ihr Konzept des Filmemachens ist ein unfassbar direktes. Man muss sich der Kraft ihrer Bilder ausliefern, das spärliche Narrativ als Nichtigkeit abtun und sich dem Strom aus Gefühlen und Stimmungen hingeben, den die sprunghaften und experimentellen Bilder jedem aufmerksamen Zuschauer offenbaren. 1965 entstanden, fällt Glück aus dem Blickwinkel des Mannes in ihre sozialkritische Phase und setzt sich auf ungewöhnliche Art mit der Scheinhaftigkeit von Werten wie Glück und Liebe auseinander.
Der unbedarfte Zuschauer könnte Glück aus dem Blickwinkel des Mannes beinahe mit einer Utopie verwechseln. Schließlich erstrahlt der Film durchgehend in hellen, fröhlichen Farben. Varda kreiert ein ums andere Mal Momente, die so auch als pastellfarbene Gemälde in einer Galerie hängen könnten. Freunde, die gemeinsam lachen. Kinder, die im Schatten eines großen Baumes dösen. Liebende, die sich zärtliche Küsse aufdrücken. Auch François (unbekümmert strahlend: Jean-Claude Drouot) und seine Ehefrau Thérèse (sentimental ergeben: Claire Drouot) leben mit ihren beiden Kindern ein einfaches, aber augenscheinlich glückliches Leben. Als er die impulsive Emilie (Marie-France Boyer) kennenlernt, kommt es zu einem Widerspruch, der für François keiner zu sein scheint. Gleichsam liebt er beide Frauen und so kommt es zu einem Liebesdreieck der etwas anderen Art.
Tatsächlich ist es schwer in Worte zu fassen, was Vardas Film so besonders macht. Am deutlichsten wird es wohl dann, wenn man sich vor Augen führt, was andere Filmemacher aus diesem Ausgangsstoff gemacht hätten. Denn entgegen jedweden dramaturgischen Brennstoffs, bleibt Glück aus dem Blickwinkel des Mannes über weite Strecken sehr behutsam und geerdet. Konsequenz und Drama bleiben lange Zeit reine Andeutung, versteckt hinter der bunten Farbpalette und den überglücklichen Alltagsphantasien. Natürlich ist das in diesem impressionistischen Film ein reines Mittel zum Zweck, denn nach und nach dämmert es dem Zuschauer, dass jene farbenfrohe Bildgewalt wohl reiner Zynismus ist. Ein mit Hohn überzogenes Abbild der verzerrten Wirklichkeit, so wie François sie wahrnimmt.
Als es dann letztlich doch zum einschneidenden Ereignis kommt, bleibt die Welt nur für den Bruchteil einer Sekunde stehen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird klar, dass Vardas angedeutetes Konzept von männlichem Glück die reinste Farce ist. Eine kritische Überspitzung, eine zwanghafte Umkehr ins Positive. Dieser Ansatz resoniert vor allem deshalb so gut mit dem Zuschauer, weil Varda alle anderen Elemente der filmischen Gestaltung unterordnet. Gefühle, Eindrücke und Stimmungen vermittelt sie primär auf formaler Ebene, während beispielsweise die Dialoge stets wie naive Plaudereien anmuten. So sind es nicht nur die immer wieder eingestreuten Bildschnipsel, die einen Bruch suggerieren, sondern vor allem die farblich kontrastierten Übergänge, die in rot, blau und weiß (zufällig oder auch ganz bewusst die Nationalfarben Frankreichs) jeweils für die drei ausschlaggebenden Figuren der Ménage-à-trois stehen. Das Schöne daran ist, dass man diesen Umstand nicht bewusst wahrnehmen muss, sondern ganz direkt in der von Agnes Varda so plastisch entworfenen Welt fühlen kann.
Fazit
Weitaus mehr an flüchtigen Momentaufnahmen denn einem runden Narrativ interessiert, hat Agnes Varda mit „Glück aus dem Blickwinkel des Mannes“ einen Film inszeniert, der seine Kraft primär aus seiner stimmungsvollen Bildsprache zieht. In ihrer Wirkung unglaublich direkt und intuitiv, haftet den farbenfrohen Bildern ein entlarvender Zynismus an, der spätestens in den letzten Szenen das kleinbürgerliche Konzept von Glück als hohle Phrase entlarvt.
Autor: Dominic Hochholzer