Inhalt
HALTLOS erzählt die Geschichte der schwangeren Martha, intensiv verkörpert von Lilith Stangenberg, die sich entscheidet ihr Kind zur Adoption freizugeben. Gleichermaßen verstörend wie berührend erzählt Regisseur Kida Khodr Ramadan von ihrer Entscheidung und deren Folgen, die zu einem seelischen und gesellschaftlichen Kampf um Weiblichkeit, Mutterschaft und Freiheit führen.
Kritik
Es gibt Filme, die ganz um eine Figur konstruiert sind. Das kann eine Stärke sein, wenn diese Figur überzeugend geschrieben ist - oder eine fatale Schwäche, wenn sie es nicht ist. Genauso kann eine Filmfigur ganz aus einer Darstellung heraus entwickelt sein, so dass ihre Wirkung komplett von dieser abhängt. Dass beide Faktoren in einer Produktion zusammentrifft, mag nicht selten sein. Dafür allerdings, dass sie so heftig kollidieren, wie in Kida Khodr Ramadans (In Berlin wachst kein Orangenbaum) erstem Kinospielfilm.
Dessen Story streift einen ganzen Katalog kontroverser Themen, deren gesellschaftliche Relevanz in krassem Gegensatz zu ihrer filmischen Unterrepräsentation steht: Adoption, Ablehnung des eigenen Kindes, der intensive Wunsch nicht Mutter zu sein, psychische Instabilität und die Frage, ob sie für die Mutterrolle disqualifiziert. Doch um nichts von all dem geht es im Drama der labilen Protagonistin, die weniger reelle Persönlichkeit ist als Schauspielvorlage für Lilith Stangenberg (Sterben). Sie vollbringt eine enorm intensive Verkörperung der mental beeinträchtigten Martha.
Alles drehe sich nur um sie, wird ihr immer wieder vorgeworfen, und ironischerweise trifft das auf inszenatorischer und narrativer Ebene absolut zu. Die hektische Kamera klebt an Martha, die ihre exaltierten Empfindungen ungefiltert auf ihr Umfeld loslässt. Bis sie letztlich wortwörtlich in ihrer eigenen Welt lebt, in der sie schönzureden beginn mehr Zeit verbringt als der Realität. Doch jene scheint ohnehin nur ein lästiges Randelement in einer Handlung, die beliebig Erzählstränge anreißt, verknüpft und verwirft.
Entsprechend dem Mythos vom Mutterinstinkt und weiblicher Wankelmütigkeit, entpuppt sich Marthas Entschluss zu Adoptionsfreigabe als fataler Fehler, der sie dem geistigen Zusammenbruch stetig näher bringt. Eine liebeshungrige Frau mit exzentrischer Mutter (Jeanette Hain), schwanger von einem verheirateten Mann (Samuel Schneider, More Than Strangers), gibt ihr Kind weg und verfällt danach vor Kummer und Reue dem Wahnsinn: Es klingt nach bürgerlicher Tragödie von vor 150 Jahre und wirkt in seiner sittlichen Sentimentalität genauso verstaubt. Moralismus und Melodramatik ersetzen Menschlichkeit.
Fazit
Wenn Lilith Stangenberg in einem der als elegische Erklärungshilfe dienenden Songs anhand des Namens ihrer Filmfigur deren psychische Leiden buchstabiert, kippt Kida Khodr Ramadans Kinodebüt endgültig in die Selbstsatire. Dabei liegt in der Geschichte einer anpassungsunfähigen und -unwilligen Frau das Potenzial, manchmal sogar die sichtbaren Ansätze, zu so viel mehr: einer Demaskierung spießbürgerlicher Scheinperfektion, Kritik patriarchalischer Moralin, Dekonstruktion psychopathologischer Normvorstellungen. Stattdessen zementiert all dies das erratische Psycho-Porträt, das die bravouröse Hauptdarstellerin allein nicht retten kann.
Autor: Lida Bach