Inhalt
Hänsel und Gretel, die Kinder einer verarmten Holzfällerfamilie, verlaufen sich im tiefen Wald. Auch den Pfad aus Brotkrumen, der ihnen den Weg zurück nach Hause zeigen sollte, können die beiden nicht mehr finden – hungrige Vögel haben die Krümel genüsslich aufgepickt. Nach langer Suche gelangt das Geschwisterpaar zu einem merkwürdigen Haus, das ganz aus Lebkuchen und anderen köstlichen Naschereien gemacht ist. Die alte gutmütige Frau, die das seltsame Häuschen bewohnt und den Kindern Unterschlupf und Essen bietet, entpuppt sich aber bald als bösartige Hexe, die Hänsel mästen und verspeisen will ...
Kritik
Es war eine glorreiche Idee, die Menahem Golan und Yoram Globus in den 1980er Jahren ausgeheckt haben. Mit den sogenannten Cannon Movie Tales sollte eine ganz eigene Märchenreihe in Szene gesetzt werden, quasi eine Live-Action-Antwort auf die Zeichentrickklassiker aus dem Hause Walt Disney. Die Intention dahinter war natürlich klar: Golan und Globus wollten ihre Filmproduktionsgesellschaft, Cannon Films, zum A-Liga-Studio aufbauen und scheuten sich nicht dementsprechend nicht davor, in Konkurrenz mit dem Mickey-Mouse-Konzern zu treten. Die familienfreundliche Erweiterung des eigenen Produktionskatalogs, der sich zuvor auf Action-Bretter wie Die City-Cobra, Missing in Action, Bloodsport oder American Fighter umfasst, war an und für sich keine schlechte Idee. Da wir es hier allerdings mit Cannon zu tun haben, sprechen wir natürlich auch immer von einem Himmelfahrtskommando aus wirtschaftlicher Perspektive.
Ursprünglich hatte man geplant, eine 16 Filme umfassende Serie aus den Cannon Movie Tales zu machen. Ganze 50 Millionen Dollar (1,5 Millionen Dollar pro Film) haben Menahem Golan und Yoram Globus damals investiert, um Schneewittchen und die sieben Zwerge, Cinderella, Dornröschen, Der gestiefelte Kater, Rumpelstilzchen und Co. zu verwirklichen. Dass daraus nichts geworden ist, ist inzwischen hinreichend bekannt. Wie so häufig lag es letztlich am kommerziellen Misserfolg, dass die Serie nach (immerhin) 9 Filmen eingestellt wurde. Führt man sich heutzutage aber einen Film wie Hänsel und Gretel zu Gemüte, dann wird sehr schnell ersichtlich, dass hier nicht nur das schnelle Geld gemacht werden sollte, sondern tatsächlich mit dem Gedanken an die Cannon Movie Tales herangetreten wurde, angenehm aufwändige Märchenfilme zu erschaffen, die auch noch in vielen Jahren von Kindern genossen werden können.
Unter der Regie von Len Talan überzeugt Hänsel und Gretel als angenehm düstere Adaption des Grimm'schen Volksmärchens. Mag die Geschichte auch noch so bekannt sein, so gelingt es dem Film dennoch, eigene Akzente zu setzen, wenn er zu Anfang beispielsweise sehr konkret die existentielle Notlage der Familie auf den Punkt bringt, wenn Hänsel und Gretels Mutter ihren Kindern wünscht, dass sie morgen nicht mehr aufwachen, um diesen Elend bestmöglich entgehen zu können. Darüber hinaus ist es die Leidenschaft zur handgemachten Kulisse, die gerade im Hexenhaus für viele (süße) Schauwerte sorgt. Das wahre Highlight allerdings ist die süffisante Performance von Oscar-Gewinnerin Cloris Leachman (Die letzte Vorstellung), die ihre Kinder-fressende Hexe Griselda mit so viel schauriger Verve porträtiert, dass sich selbst Meryl Streep in Into the Woods von dieser wunderbaren Darbietung hat inspirieren lassen.
Fazit
„Mit vielen bekannten Hollywoodstars, wundervollen Songs, traumhaften Kulissen und Kostümen“ - so lautete das Markenzeichen, mit dem Cannon Films ihre eigene Märchenreihe, die Cannon Movie Tales, an den Start brachte. "Hänsel und Gretel", einer der neun Einträge in diese Serie, wird dem vollmundigen Versprechen des Produktionsstudios gerecht: Die hiesige Adaption des Grimm'schen Volksmärchens ist ein angenehm düsterer, mit handgemachten Schauwerten ausgestatteter und durch eine tolle Performance seitens Cloris Leachman als Hexe Griselda veredelter Märchen-Reigen.
Autor: Pascal Reis