Inhalt
Die Haftstrafe für sein sozialistisches Engagement wird dem schwer erkrankten Yusuf verkürzt, so dass er nach zehn Jahren zu seiner Mutter in die türkischen Berge zurückkehren kann. Es beginnt eine rastlose Zeit zwischen der Abgeschiedenheit der dörflichen Welt und der Komplexität der Großstadt Istanbuls, wo Yusuf die Prostituierte Eka kennenlernt. Sie ist eine weitere verlorene Seele, die in sich selbst gefangen scheint.
Kritik
Die Einsamkeit spricht aus den Blicken der Menschen, ruht in der Stille der Landschaft. In Özan Alpers melancholischem Debüt wird die Jahreszeit zur bitteren Metapher für ein sich früh dem Ende zu neigendes Lebens. Die Blätter welken dahin wie die Gesundheit des Ex-Häftlings Yusuf (Onur Saylak). Mit der Kälte des Winters naht für ihn die Kälte des Todes. Im Frühjahr könnten sie in die Berge fahren, sagt Yusufs Freund Mikail (Serkan Keskin). Yusuf schweigt nur zu solchen Sätzen, die ihn an die Unabänderlichkeit seines verbrauchten Lebens erinnern. Im Frühjahr wird es für ihn zu spät sein. Todkrank ist er in sein Heimatdorf zurückgekehrt. Zehn Jahre war er nicht mehr dort, seine Jugend, die er im Gefängnis zugebracht hat. Dass der verschlossene Protagonist ein ehemaliger politischer Häftling ist, verbirgt er nicht. Doch seine fatale Erkrankung verschweigt er selbst seiner greisen Mutter (Raife Yenigül), in deren Hütte er diese letzten Monate verbringt.
Fast erfroren liegen die Gefühle in Alpers filmischer Elegie unter einem Mantel aus Abweisung und Schweigen. Bevor sie einander nahekommen können, müssen die Figuren erst mühsam ihre innere Zurückgezogenheit überwinden. Bei einem Besuch in der Stadt begegnet ihm die georgische Prostituierte Eka (Megi Kobaldaze). Behutsam nähren sich die beiden einander an. Doch beide wissen, dass ihre Zuneigung keine Zukunft hat. Im Laufe der Jahre haben sich die Figuren an ihre seelische Isolation gewöhnt. Wie Yusufs Mutter Gülefer nehmen sie ihre Lebensumstände klaglos und genügsam hin, ohne aktiv nach einem Ausweg zu suchen. Der Tod kommt da direkt als Erlösung. Das Dorf, das den Handlungsschauplatz abgibt, wirkt selbst ein Gefängnis. Mikail wollte vor zehn Jahren fort, aber er blieb. Einzig Yusuf hat nach seiner Freilassung die geistige Kraft, sich zum Fortgehen aufzuraffen. Doch ausgerechnet er, der als Einziger sein Leben ausschöpfen möchte, muss dieses Leben aufgeben. Yusuf und Eka erkennen einander als zwei Beraubte. Beiden wurden durch Entbehrung und Gefangenschaft die besten Jahre ihres Lebens genommen. Dass sie einander finden, lässt beide den Verlust noch schmerzlicher spüren.
„Trotz allem ist das Leben lebenswert“, wird den Gefängnisinsassen in einer Szene über Lautsprecher zugerufen. Der Widerhall des Megafons lässt die Worte hohl klingen, eine Phrase, die der Sprecher selbst nicht glaubt. Die zwischenmenschliche Distanz stumpft die Protagonisten jeden Tag ein wenig mehr ab. Gefühle zuzulassen ist für sie ein verstörender, fast qualvoller Prozess. Trotz ihres schmerzlichen Erfahrungen sind die differenziert gezeichneten Charaktere zu berührender Zuneigung fähig. Besonders Yusufs Mutter versucht unermüdlich, den Kranken gesund zu pflegen und zum Leben zu ermutigen, nichts ahnend, dass er dem Tod näher ist als sie. Ihre Freude über das Wiedersehen mit Yusuf trübt die Sorge, ihr Sohn werde gleich ihr einsam altern. Es ist traurige Ironie, dass ihr Wunsch sich bald erfüllen wird. Von Tag zu Tag verschmilzt Yusuf mehr mit der Natur, bis er im Tod in ihr aufgeht. Eine flirrende, trotzige Lebendigkeit herrscht allein in den Handkamera-Bildern, die bruchstückhaft seine Erinnerungen zeigen.
Fazit
Alpers Szenen sind sorgfältig komponierte visuelle Symphonien. Mit der Referenz an ein Bühnenstück Tschechows und einem melancholischen Lied verklingt das stille, ergreifende Figurendrama. Für so viel Niedergeschlagenheit muss man schon in der passenden Stimmung sein.
Autor: Lida Bach