Inhalt
Marco Carrera, genannt "der Kolibri", verliebt sich als Jugendlicher während eines Urlaubs am Meer in Luisa Lattes. Ihre Liebe wird unerfüllt bleiben, aber Marco sein Leben lang begleiten. Seine Geschichte ist geprägt von Verlust und tragischen Zufällen, aber auch von der absoluten Liebe zu einer Frau, die immer ein Traum bleiben wird, und zu seiner Tochter und Enkelin.
Kritik
Ein Kolibri sei ein Vogel, der sehr viel Energie darauf verwende, auf der Stelle zu bleiben, heißt es in Francesca Archibugis (Questione di cuore) ausschweifender Adaption Sandro Veronesis (Comandante) gleichnamigen Romans. Dessen Hauptcharakter trägt den titelgebenden Spitznamen aufgrund einer kindlichen Wachstumsverzögerung, die sein Vater (Sergio Albelli) mit einer Hormonbehandlung behebt. Ein nicht nur in seiner Überkonstruktion exemplarisches Detail einer larmoyanten Lebenschronik, die trotz geschäftigen Geflatters dramaturgisch nicht vorankommt. Dabei mangelt es der generationenübergreifenden Handlung nicht an melodramatischen Ereignissen.
Diese überfrachten die ein halbes Jahrhundert umfassende und sich doppelt so lang anfühlende Story, deren anachronistische Erzählweise die Mischung trivialer Tragödien und elitärer Exzentrik nicht interessanter macht, sondern unnötig verkompliziert. Entsprechend schemenhaft bleiben in der zwischen zahlreichen Zeitebenen springenden Handlung die durch ihren Wohlstand gut gegen Schicksalsschläge gepolsterten Charaktere und deren Beziehungen. Selbst deren relevanteste, die unerfüllte Liebe des unscheinbaren Protagonisten Marco Carrera (Pierfrancesco Favino, Die letzte Nacht in Mailand) zu Nachbartochter Luisa (Berenice Bejo, Another End), ist nur eine blasse Behauptung.
Selbige erklärt in einer plumpen Expositionsszene Nanni Moretti (A Brighter Tomorrow) als paternalistischer Psychotherapeut Marcos Gattin Marina (Kasia Smutniak, Domina). Deren Schwanken zwischen hysterischer Heulerei und aggressiver Aufmerksamkeitssuche ist programmatisch für die Mischung aus sexistischer Stereotypisierung und ableistischer Stigmatisierung, mit der die Regisseurin und Co-Drehbuchautorin Laura Paolucci nahezu alle Frauenfiguren zu psychopathologischen Karikaturen reduzieren. Die aus dem latenten Chauvinismus und der problematischen Darstellung von psychosozialer Divergenz sprechende Bigotterie ist neben dem beiläufigen Klassismus letztlich nur ein weiteres Symptom der Redundanz des künstlich aufgebauschten Elite-Epos.
Fazit
Wenn sich im Anfangskapitel Francesca Archibugis verworrener Verfilmung Sandro Veronesis preisgekrönter Buchvorlage eine Panikattacke im Flugzeug als mystische Vorahnung entpuppt, scheint die kopflose Inszenierung gar einen Abstecher zu "Final Destination" machen. Doch leider ist die bizarre Detour nur ein weiterer toter Handlungsstrang der fiktiven Biografie eines uninteressanten Helden, so konfus strukturiert und unentschlossen, dass sie mehr einem Episodenstück ähnelt. Das solide Ensemble scheitert an den papierdünnen Figuren einer bei aller selbstgefälligen Sentimentalität substanzlosen Familiensaga.
Autor: Lida Bach