Für die meisten ist Jamón nichts weiter als spanischer Schinken, doch dank Regisseur Bigas Luna (Reborn), weiß man, dass man recht viel aus einem einfachen Stück Fleisch herausholen kann. Mit seiner anspruchsvollen und gewagten Tragikomödie Jamón Jamón – Lust auf Fleisch nimmt er sich vieler gesellschaftskritischer Aspekte an. Versteckt hinter der Metapher des Schinkens, rückt er menschliche Begierden in den Vordergrund. Zu diesen Begierden gehören eben nicht nur der Wunsch nach sofortiger sexueller Befriedigung, sondern auch der Wunsch nach materiellen Gütern, für die man bereitwillig nicht nur seine Prinzipien, sondern auch seine Liebe opfert. Das nennt man wohl Satire auf höchstem Niveau, wenn die männlichen Hauptfiguren in diesem Film als notgeile Böcke dargestellt werden, die je nach sexueller Präferenz mal durch einen Stier mal durch einen Papagei erregt werden und entweder die Rolle eines Muttersöhnchens Jose Louis (Jordi Molla, Blow) mit Brüste-Fetisch oder die Rolle eines übergriffigen Machos Raúl Gonzales (Javier Bardem, Dune) mit Knoblauch- und Schinken-Obsession übernehmen.
Allein der inszenierte Stierkampf, bei dem Raúl und sein Kumpel (Tomás Martín, El far) völlig nackt mitten in der Nacht ihr Gehänge baumeln lassen und sich dadurch in Erregung versetzen, sagt natürlich mehr als tausend Worte über die in Spanien gesellschaftlich anerkannte Tierquälerei, die jedes Jahr vonstattengeht. Jamón Jamón – Lust auf Fleisch macht sich über die Glorifizierung des Stierkampfes lustig und über diejenigen, die sich für einen Kick an der Quälerei eines Tieres aufgeilen. Doch leider übertritt man während der Dreharbeiten trotz edler Absicht selbst die Grenze zur Tierquälerei und zeigt Szenen, in denen man äußerst unsanft mit einem lebendem Schwein umgeht und das ist noch milde ausgedrückt. Das wirkt irgendwie absurd, wenn man sich einerseits mit seinem Film über die Tierquälerei lustig machen will, doch selbst Szenen zeigt, in denen ein Tier definitiv gequält wird und es sieht bedauerlicherweise viel zu echt aus, um CGI zu sein.
Überhaupt, enthält Jamón Jamón einige gewagte Sexszenen, in denen es ordentlich zur Sache geht, die man so intensiv in den wenigstens zeitgenössischen Filmen sieht, zumindest nicht so direkt und genüsslich inszeniert. Heutzutage wirken die Sexszenen bei den meisten Filmen eher mechanisch und steril. Es wird viel mit Andeutungen gearbeitet, ganz anders als bei Jamón Jamón, denn hier geht es um reale Fleischeslust und darum haben die Szenen sogar etwas Voyeuristisches an sich. Zumindest fühlt es sich aus der Sicht des Zuschauers so an, als würde man echten sexuellen Handlungen beiwohnen, immerhin legen sich die Schauspieler ordentlich ins Zeug. Kein Wunder, dass Jahre später während des Drehs von Vicky Cristina Barcelona die Liebe zwischen Javier Bardem und Penélope Cruz (Vanilla Sky), die hier Silvia, das Objekt der Begierde spielt, so heiß entflammt ist.
Eigentlich überrascht es eher, dass sie nicht schon nach ihrem ersten gemeinsamen Film Jamón Jamón ein Paar geworden sind, bei so vielen sinnlichen Szenen, die sie gemeinsam hatten. Erotik pur: heiße Küsse unter dem riesigen Stier oder eben vor dem hängenden Schinken. Dabei wirken die Szenen niemals lächerlich, sondern eher skurril, aber es ist absolut gewollt. Es ist eben kein Klamauk, sondern eine Satire, die sich durchaus ernst nimmt, ohne zu sehr ins Absurde abzudriften und wenn doch, dann ist es geplante Absurdität, die nur als Metapher für die Gesellschaftskritik dient. Traditionelle männliche aber auch weibliche Rollenbilder werden genau unter die Lupe genommen, um sich darüber lustig zu machen. Außerdem bildet sich deutlich der Kontrast zwischen Armen und Reichen, doch eins haben sie wiederum alle gemeinsam: Das ist die rohe sexuelle Begierde, die vor niemandem Halt macht, egal ob reich oder arm.