Mit selbstgefälligem Grinsen auf dem Lippen stellt Walter (Godehard Giese, Im Sommer wohnt er unten), Direktor der Marketingabteilung eines Kosmetikherstellers, den Slogan des neuen Produkts vor: YOLO. Das bedeutet You Only Life Once. Das ist cool, griffig, am Puls der Zeit. Wie Walter diese englische Phrase in den Raum wirft und seinen Kollegen die Brillanz dahinter offenbart, das zeugt von Arroganz, von Überheblichkeit und sicherlich auch von der Sicherheit, in einem Umfeld zu agieren, in dem er sich frei und sicher fühlen kann. In der Berufswelt ist Walter Mensch, hier darf er's sein. Diese Sicherheit aber wird alsbald in kleine Teile zerschlagen, als Walter aus Betriebsgründen die Kündigung erhält. Wie soll es für einen Menschen, der allein für seinen Job gelebt hat, nun weitergehen?
Jetzt.Nicht., das Spielfilmdebüt von Julia Keller, beschreibt Walter vor allem als Ergebnis eines auf Leistung versessenen Gesellschaft, die in ihrer Arbeitsmanie innerlich vollkommen erfroren ist. Selten zeichnen sich in Godehard Gieses Gesichtszügen Emotionen ab, stattdessen ist seine Physiognomie vielmehr Projektionsfläche einer Welt, die nicht mehr mit Gefühlen umgehen kann – vermutlich, weil sie in der modernen Marktwirtschaft keine Bedeutung mehr besitzen. Gleiches zeichnet sich auch in der Beziehung zu seiner Frau Nicola (Loretta Pflaum, Die Viertelliterklasse). Gesprochen wird zwar noch, aber meistens über die Arbeit. Ohnehin legt Walter seinen Anzug erst dann ab, wenn er sich ins Bett begibt. Nur wenn er schläft, ist er nicht mehr im Dienst. Wobei Walter zu den Typen gehört, die womöglich auch von ihrer Arbeit träumen – und deswegen nicht schweißgebadet aufschrecken.
In einem Bewerbungsgespräch wird Walter die Frage gestellt, wofür er außerhalb seines Berufs brennt. Seine Antwort? Schweigen. Jetzt.Nicht. ist gleichermaßen Gesellschaftsporträt wie die entschleunigte Beobachtung eines Einzelschicksals. Walters Problem ist, dass er keine Existenz, keine Identität außerhalb der Arbeit besitzt. Die Arbeit ist seine Komfortzone, außerhalb dieser gibt es für ihn keine Überlebenschancen. Dementsprechend hilflos gibt er sich nach seiner unerwarteten Freistellung. Existenzängste, (Selbst-)Zweifel, Frustration. All das sind Gefühlsregungen, mit denen Walter zuvor nicht vertraut war. Wie verarbeitet man derartige Empfindungen? Mit Aggressionen. Da wird auf den Chef der Frau eingeschlagen, der Dienstwagen im nächsten See versenkt, mit Boxhandschuhen auf eine Straßenlaterne eingeprügelt. Und doch bleibt Walter eine seltsam verschlossene, in sich verkapselte Persönlichkeit, die keine Entwicklung durchmacht, sondern der Ikonografie der Verlorenheit durchweg treu scheint.
Interessant ist auch, wie klar Jetzt.Nicht. aufzeigt, dass in der echten Welt, der Welt jenseits von Erfolgsbilanzen und Abverkaufszahlen, keine Resultate mehr einzuholen sind. Egal, wohin sich Walter bewegt, wer ihm begegnet, zu welchen Handlungen er sich hinreißen lässt – nichts davon bringt Konsequenzen mit sich, die sich auf den weiteren Verlauf in Walters Leben auswirken könnten. Resultate, Ergebnisse, Zählbares gibt es eben nur in der Berufswelt. Dass Jetzt.Nicht. sich auch gekonnt weigert, Walter als Identifikationsfigur aufzubauen, erweist sich für den emotionalen Zugang des Geschehen natürlich als äußerlich hinderlich, versteht sich aber auch als programmatischer Kniff, der auf dieses eiskalte Klima innerhalb von Deutschland hinweist. Im Brennglas der Gegenwart, in dem sich Jetzt.Nicht. aufhält, sind Gefühle nur noch Ballast. Hauptsache der Wecker klingelt morgen um 7:00 Uhr wieder.