Dass auch das deutsche Kino zu beachtenswerten Großproduktionen auf internationalem Niveau imstande sein kann, wenn neben gutem Willen auch ein üppiges Budget zur Verfügung steht, ist ja an für sich nichts Neues. Für große Bestsellerverfilmungen wie Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders oder Cloud Atlas, die beide mit Stars wie Tom Hanks oder Dustin Hoffman hollywoodartig auftrumpften, gab sich die deutsche Filmförderung deutlich spendabler als üblich. Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer konnte da zwar in Sachen Besetzung nicht ganz mithalten, dennoch gilt das allseits bekannte Kinderbuch von Michael Ende (Die Unendliche Geschichte) vor allem wohl auch wegen der TV-Adaption durch die Augsburger Puppenkiste Anfang der Sechziger als nationales Kulturgut. Stolze 25 Millionen Euro durfte daher die Leinwandversion für sich veranschlagen und zählte damit prompt zu den kostspieligsten Produktionen aus deutschen Landen überhaupt.
Regisseur Dennis Gansel (Napola - Elite für den Führer) lieferte damit nach seinem Hollywood-Abstecher Mechanic: Resurrection eine Verfilmung, die mit massivem CGI-Einsatz ausgesprochen bildgewaltig geriet, dabei aber stets den Geist der Vorlage atmete und sogar dem TV-Marionettentheater respektvoll Tribut zollte. Trotz Zuschauererfolg – knapp zwei Millionen Kinobesucher – ging die Rechnung fürs produzierende Studio Warner Bros. mit kaum der Hälfte der ausufernden Produktionskosten weniger gut auf. Dennoch reichte das offenbar immer noch aus, der Fortsetzung Jim Knopf und die Wilde 13 grünes Licht zu geben. Die war zwar glücklicherweise schon im Frühjahr 2019 abgedreht, wurde aber trotzdem durch die Covid-19 Pandemie erst in der Postproduktion, die Dennis Gansel teilweise per Home Office bewältigen musste, und dann die bundesweite Kinoschließung Anfang November merklich in Mitleidenschaft gezogen.
Aber auch wenn das dem Einspiel sicherlich nochmal eine ganze Ecke mehr geschadet haben dürfte als bei Teil 1, so tun solche Fallstricke der Fortsetzung keineswegs Abbruch. Denn Jim Knopf und die Wilde 13 schafft es nicht nur in Sachen Handlung an den Vorgänger fast nahtlos anzuknüpfen, sondern auch an dessen unbestreitbare Qualitäten, Warmherzigkeit und Charme. Gleich zu Anfang profitiert der Film, der wie schon der Vorgänger neben der von Ralph Wengenmayr neu orchestrierten Titelmelodie vom (inzwischen leider verstorbenen) Thomas Fritsch als Märchenerzähler eingeleitet wird, dabei natürlich einmal mehr von den detailverliebten Kulissen in den Babelsberger Studios. Die verliehen Lummerland bereits in Teil 1 sein zwar betont künstliches, aber ebenso ungemein einnehmendes Puppentheater-Modellstadt-Flair.
Henning Baum (Catweazle) und Jim-Darsteller Solomon Gordon, die sich zwar schon in Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer als überraschend stimmiges Duo entpuppten, wirken hier zudem noch eine ganze Spur eingespielter, wenngleich schnell offensichtlich wird, dass der inzwischen 16-jährige Gordon zwischen beiden Drehs ordentlich in die Höhe geschossen ist. Wer allerdings schon zuvor mit der sehr auffälligen Nachsynchronisation des jungen Briten haderte, wird auch hier wieder seine Schwierigkeiten damit haben und womöglich auch mit der schaupielerischen Darbietung. Dagegen merkt man dem Ensemble um Annette Frier, Christoph Maria Herbst und Uwe Ochsenknecht, die erneut als ausgesprochen wunderliche Bewohner des Zwergenstaates mit von der Partie sind, die unglaubliche Spielfreude mehr als an.
Ebenso wie der erste Teil, erbt Jim Knopf und die Wilde 13 aber neben den Stärken der Vorlage auch deren klar erkennbare Schwächen. Wie das Kinderbuch von 1962, ist die Fortsetzung zwar kein bloßer Aufguss, sondern eine konsequente Fortführung der Geschichte, die dem ersten Abenteuer der Lummerländer aber vor allem im Aufbau doch stark ähnelt. Waren es in Teil 1 noch "Platzprobleme" auf der überschaubaren "Insel mit zwei Bergen", die in die Rettung von Kaiserstochter Li-Si (Leighanne Esperanzate) mündeten, so ist es diesmal ein Leuchtturm für „Neu-Lummerland“, den Jim und Lukas beschaffen wollen, ehe sie der Frage nach Jims wahrer Herkunft auf den Grund gehen. Die blieb am Ende von Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer bekanntlich offen und bildet nun das dramaturgische Kernstück.
Wie aber schon im Vorgänger, stößt man dabei erneut über die recht episodenhafte Erzählweise, die wie eine zusammenhängende Ansammlung von Gute-Nacht-Geschichten wirkt. Das ist zwar nach wie vor verschmerzbar und klar der Kinderbuchdramaturgie zuzuschreiben, erweist sich aber auch in Teil 2 für den Erzählfluss als etwas störend. Bis der Hauptplot um Jims Vergangenheit tatsächlich in den Fokus des Geschehens rückt, vergeht nämlich ungewöhnlich viel Laufzeit. Die investieren Dennis Gansel und Dirk Ahner, der dieses Mal im Alleingang das Drehbuch beisteuerte, vor allem in ein Wiedersehen mit zwei Fanlieblingen. Dabei gestaltet sich das Aufeinandertreffen zwischen dem Scheinriesen Herr Tur Tur (Milan Peschel) und dem Halbdrachen Nepomuk (Stimme: Michael Bully Herbig) für sich genommen zwar ausgesprochen amüsant, gleichzeitig wirkt diese Episode aber auch wie Vorgeplänkel und eine Hürde, die verhindert, dass die Jagd nach der titelgebenden Wilden 13 wirklich an Fahrt gewinnt.
Auch das etwas zusammengestutzte Budget macht sich vor allem in der ersten Hälfte klar bemerkbar, wenn der Ausflug ins China-Pendant Mandala nicht mehr ganz so ausschweifend ausfällt wie zuvor oder aber in Momenten mit der Meerjungfrau Sursulapitschi (Sonja Gerhardt) oder dem computergenerierten Nepomuk das ansonsten technisch sehr hohe Niveau sichtlich hin- und herschwankt. Solche Makel sind aber auch schon wieder fast vergessen, wenn Jim Knopf und die Wilde 13 die wilde Piratenmeute endlich auf den Plan treten lässt und auch genretechnisch kräftig in diese Kerbe schlägt. Mit beeindruckenden Bildern auf hoher See und sogar Schwertkämpfen auf Deck, lässt der Film hier regelrecht handfestes Fluch der Karibik-Abenteuerfeeling aufkommen.
Besonders aus dem Vollen schöpft man aber mit einem Seesturm auf dem rauen Meer, der für eine deutsche Produktion derart eindrucksvoll geraten ist, dass man sich vor großen Hollywoodblockbustern kaum noch zu verstecken braucht. Zur kalten Tech-Demo gerät das Spektakel trotzdem nicht, da Dennis Gansel und sein Team jederzeit neben allerlei haptischen Effekten alles immer in den Dienst der Geschichte und ihrer Message stellen. Die ist natürlich erneut alles andere als subtil geraten, wird aber vom Erstling, in dem es darum ging, Vorurteile gegenüber Fremden abzubauen, nun konsequent dahin weitergedacht, dass man nun eben diesen auch einen Anstoß geben muss, sich untereinander nicht auf Anhieb feindselig zu begegnen.
Aller visuellen wie tricktechnischen Brillanz zum Trotz, stammt das wahre Highlight von Jim Knopf und die Wilde 13 aber ohnehin nur teilweise aus dem Computer. Und nachdem es bereits der Vorgänger zum Auftakt kurz angedeutet hatte, was hier einen erwarten könnte, macht der Nachfolger nun tatsächlich bei der Wilden 13 Nägel mit Köpfen. Die Idee, dass Rick Kavanian, der bereits etwa im Klamauk (T)raumschiff Surprise - Periode 1 seine ernorme Wandlungsfähigkeit unter Beweis stellen durfte, mittels etwas CGI-Nachhilfe in allen 13 (!!) Rollen zugleich zu sehen ist, mag zwar in der Theorie fast schon etwas Beängstigendes haben, in der Praxis erweist sie sich aber schlicht als Coup. Der gebürtige Armenier schafft es dabei nicht nur, jedem der (über?) zwei Dutzend Seeräuber, die sich natürlich obendrein alle zum Verwechseln ähnlich sehen, eigene Facetten abzugewinnen, sondern meistert dabei auch stets spielend den Spagat zwischen Komik und Bedrohlichkeit.