Inhalt
Nach einem langen und harten Winter scheint der Frühling nicht zurückzukehren, was für das abgelegene Dorf und seine Bevölkerung ein Unglück ist - schließlich leben sie alle als Landwirte. Wenn die Ressourcen knapp werden, kommen nicht nur Neid und Gier an die Oberfläche, sondern auch Chauvinismus und Fremdenhass.
Kritik
Man stolpert immer mal wieder über (ältere) Filme, bei denen man überrascht auf das Entstehungsdatum schielt. Entweder, weil die Effekte nichts an ihrer eindruckschindenden Kraft eingebüßt haben, oder weil sie nach Jahren thematisch noch brandaktuell erscheinen. „Terminator 2 - Judgement Day“ wäre ein Beispiel für Ersteres, „Reporter des Satans“ von Billy Wilder eines für Letzteres. „Die fünfte Jahreszeit“ jedoch ist weder alt, noch (wie die genannten Filme) wirklich bekannt - und das ist schade, weil sich hier doch ein wirklich treffender Kommentar auf das Deutschland der Gegenwart herauslesen lässt.
Der Zuschauer findet sich unmittelbar in einem abgelegenen Dorfe mitten im Nirgendwo wieder. Ein Mann sitzt an einem Tisch, auf dem ein Hahn Platz genommen hat. Der Mann imitiert ein Krähen des Hahnes, das Tier selbst bleibt still. Der Mann möchte den Hahn zum Krähen bringen, aber der lässt sich nicht beeindrucken. Die Zeit ist stehen geblieben in dieser Ortschaft, in der es keine Wochen, keine Tage gibt, sondern nur das zäh fließende Sein an sich. Die Bewohner selbst wissen nicht, wo sie sich zeitlich genau befinden. Die Aussichten in die Zukunft und in die Vergangenheit scheinen bloß eine Endlosschleife zu sein - aus Kälte, Frost und Trägheit. Und doch zeugt die anfangs noch etwas optimistische Stimmung auf die Zukunft von einem tief verankerten Wissen. Hoffnung auf Besserung, Hoffnung darauf, dass der Frühling zurückkehrt und der lange und beschwerliche Winter ein Ende nimmt. Dann, im Frühling nämlich, können die Bewohner wenigstens einer Beschäftigung nachgehen, die ihrer dortigen Existenz einen Sinn verleiht. In den kalten Monaten bleibt ihnen nichts anderes übrig, als zu warten. Zu warten, dass die Natur ihren Zyklus von vorne beginnt und dem Menschen die Arbeit ermöglicht. Diese extreme Abhängigkeit von der Natur wird schnell sträflich unterschlagen.
Schließlich aber bleibt der Frühling aus, die Kälte bleibt, die Sprossen sprießen nicht, die Pflanzen bleiben tot, die Luft erfroren, die Bienen kehren nicht zurück und die Tiere sind ertragslos. Der Mensch hat seine Rechnung ohne die Natur gemacht - obwohl sie der einzige Faktor ist. Schließlich werden die Ressourcen „knapp“ in diesem abgeschiedenen Dorf und die Stimmung schlägt um. Das armselige Leben der Menschen in Nichtigkeit wird zur Trägheit. Die Trägheit zur Langeweile, die Langeweile zur Verzweiflung und die Verzweiflung mündet schließlich im Wahnsinn. Die Regisseure Jessica HoopWoodworth ("Khadak") und Peter Brosens ("Altiplano") zeichnen mit ihren eiskalten grauen Bildern und starren oder sehr langsamen Bewegungen eine Gesellschaft, vor er sich stets Abgründe auftaten, die sie jedoch notdürftig ignorierten. Wird schon werden. Das geht so lange gut, bis es nicht mehr gut geht. Sobald aber der Mensch aus seinem Trott gerissen wird, kocht der stumme Chauvinismus hoch, der hier wie selbstverständlich gegen die Fremden gerichtet wird. Gier und Neid sind hier weitaus stärker als Respekt und Fürsorge. Der Mensch entblößt seine hässliche Fratze. Etwas, worauf der Film ganz bewusst hinarbeitet und dennoch trifft er in seiner Ruhe den Zuschauer unglücklich in die Magengegend.
Diese gezeigten Reaktionen der Bevölkerung gegenüber Fremden sind beinahe allegorisch auf die Welt zu übertragen - und eben heutzutage schmerzlich treffend, wenn man über das Verhalten der deutschen Bevölkerung nachdenkt. Sobald der ach so liberale Deutsche aus seinem egozentrischen Trott heraus muss, wird er radikal feindlich gegen alles und jeden, was in seiner Nähe ist. Konkret: Am wenigsten schlimm sind da noch die hirnverbrannten Krakehler, die allgemein gegen Flüchtlinge wettern. Das sind Individuen, die weder den Schuss, noch irgendwelche Fakten gehört zu haben scheinen. Die können gerne laut schreien, das beweist nur, dass sie verzweifelt aber bewusst in die falsche Richtung laufen. Schlimmer sind da fast schon die verkappten Asyl-Kritiker, die man immer wieder gerne sagen hört: „Ja, den Flüchtlingen muss geholfen werden, aber doch nicht bei mir in der Nähe.“ Es sind alarmierende Zeiten, um in Deutschland zu leben. Man hat alles im Überfluss, aber nicht genug. Lieber werden Nahrung und Textilien täglich weggeschmissen, als an Bedürftige abgegeben. Es ist, gelinde gesagt, pervers. Rechtspopulismus scheint wieder hoftauglich zu werden und das kann, das darf nicht sein. Nicht im 21. Jahrhundert, nicht bei uns mit einer solchen Geschichte.
Fazit
Der belgische Film aus dem Jahr 2012 ist natürlich mitnichten ein Film, der sich spezifisch mit der deutschen Bevölkerung auseinandersetzt, aber er ist so zielgenau und passend inszeniert und zeigt so treffend dramatisch die gesellschaftlichen Vorgänge, die sich nun auch in Deutschland wiederfinden lassen, dass man nicht umhin kommt, das Fingerspitzengefühl des Regie-Duos anzuerkennen. Die Bilder erinnern in ihrer Ruhe und bittersüßen Nüchternheit an die Arbeit von Bela Tarr, auch wenn „Die fünfte Jahreszeit“ mit knapp 90 Minuten nicht einmal fast in die Länge der Werke des ungarischen Regisseurs gelangen. Ein kraftvoller Film, der immer wieder mit seiner Intensität das Herz bis zum Halse schlagen lässt, sodass man am liebsten eine Pause für ein paar Sekunden einlegen möchte. Nur dass das nicht geht, ebenso wenig wie in der Realität. Pflichtprogramm.
Autor: Levin Günther