Inhalt
Los Alamos, New Mexico: Der schüchterne 12-jährige Owen (Kodi Smit-McPhee) hat wahrlich kein leichtes Leben. Seine Eltern stehen kurz vor der Scheidung, Freundschaften hat er aufgrund seines Außenseiterstatus keine und in der Schule, wird der magere junge regelmäßig von Rowdys drangsaliert. Als er eines Tages jedoch auf die mysteriöse Abby (Chloe Moretz) trifft, die gerade neu in die Nachbarschaft gezogen ist, scheint sich sein trostloses Leben vollkommen zu ändern. Nacht für Nacht treffen die Beiden sich fortan auf dem Spielplatz des Gebäudekomplexes, um sich allmählich näher zu kommen. Was in zarter Freundschaft dabei beginnt, entwickelt sich mehr und mehr zu einer Jugendliebe, bei der vor allem Owen sich magisch von der sonderbaren Abby angezogen fühlt. Hinter der unbekannten Fassade der schönen zugezogenen Nachbarin, verbirgt sich allerdings ein düsteres wie blutiges Geheimnis, welches bald die neue Bekanntschaft auf eine harte Probe stellt…
Kritik
Mit So finster die Nacht (OT Låt den rätte komma in), bewies Regisseur Tomas Alfredson 2008 eindrucksvoll, dass dem altausgedienten Horror-Genre durchaus noch neue Facetten abzugewinnen sind. So überzeugte die Geschichte über ein kleines Mädchen, welches sich als Vampir entpuppt, vor allem durch seine psychologischen Aspekte, aber auch durch die vielen visuellen Eigenheiten, die die ausgezeichnete winterliche Handlung auszeichneten. Subtil, eiskalt, melancholisch sowie wunderschön, erzählt der Film, basierend auf den Roman von John Ajvide Lindqvist, eine sensible Coming-of-Age-Geschichte, die so im Bereich des Horrors neue Wege beschritt. Es ging um die tiefe der Figuren, um ihr Schicksal und um die subtile Erzählung ihrer kleinen jugendlichen Romanze, die sich nicht in einem klischeehaften Happy-End verrannte. Eben ein Meisterwerk, welches besonders durch seine blutigen Akzente nicht so schnell vergessen wird. Doch gerade diese weitreichende positive Resonanz des Werkes von Alfredson hat nun dazu geführt, dass der Stoff in Form von Let Me In erneut verfilmt wurde. In Zeiten von Glitzervampiren à la Twilight sowie Remake-Wahn, auch nicht weiter verwunderlich, denn vor allem mit Vampiren (oder gar oben ohne Werwölfen) lässt sich aktuell bekanntlich gut Kasse machen. Wie sollte nun die Neuauflage also ausfallen? Als schnödes Duplikat des Originals oder gar als verweichlichtes Kino für Teenager? Weder noch, denn Regisseur Matt Reeves versteht es gekonnt, zum einen eine liebevolle Hommage zu kreieren, als auch ein eigenständiges Werk, welches sich gegenüber seinem großen Vorbild nur bedingt zu verstecken braucht.
Dies liegt vor allem daran, dass es Regisseur Matt Reeves versteht, seinen Film einen eigenen Anstrich zu verleihen sowie eine eigene Note, die zu jederzeit zu erkennen ist. Während sich So finster die Nacht vollkommen auf die psychologische Ebene seiner Figuren konzentrierte und so ihre Seelenlandschaft preisgab, verpasst Reeves seiner Geschichte zusätzlich einen zeitgeschichtlichen Hintergrund. Angesiedelt im kalten Krieg der 80er Jahre in den USA, dreht sich alles um die neu entfachte Spiritualität der Bürger. So wird in der Schule gebetet, Owens Mutter versucht Kraft für ihre Scheidung bei Gott zu finden und selbst die Obrigkeit, in Form eines ermittelnden Polizisten (gelungen gespielt von Elias Koteas), macht Jagd auf einen Satanisten, anstatt rational an die geschehenen Morde zu gehen. Stets gibt es das Gefühl, dass es für die Erwachsenen nur die Wahl zwischen Gut und Böse gibt, Gläubigkeit oder Ungläubigkeit. Doch gerade hier, grenzen sich Owen und Abby von der restlichen Welt ab. Denn bei ihrer Freundschaft, und der späteren Annäherung, gibt es kein schwarz-weiß-denken. Es gibt nur die stille Einsamkeit, die beide verbindet. Und selbst als Abby ihr wahres Gesicht zeigt, wendet sich Owen nicht ab, sondern hinterfragt das Geschehene. Als er schließlich seinen Vater fragt, ob ein Mensch böse sein kann, flüchtet sich dieser in Aussagen darin, dass ihn seine Mutter nicht so einen gläubigen Unsinn erzählen solle. Letztendlich trifft Owen so seine eigene Wahl, eine Erkenntnis, die ihn stärker werden lässt, als er es jemals für möglich gehalten hat.
Dass zudem die Geschichte auch im Remake so wunderbar funktioniert, liegt erneut an der tiefe der Figuren. Owen ist der typische Außenseiter, der weder an der Schule gemocht wird, noch zuhause einen Anknüpfpunkt findet. So sitzt er Tag für Tag in dem Innenhof, ist seine Bonbons und hofft darauf, dass er eines Tages in der Lage sein wird, sich gegen alle Widrigkeiten wehren zu können. Abby indes, ist so einsam wie Owen, wenn auch auf eine viel tragischere Weise. Ihr Blutdurst ist wie ein Fluch, der sie über die Jahre abstumpfen ließ. Selbst die Verbindung zu ihrem vermeintlichen Vater (Richard Jenkins), ist rau, kühl und kaum noch existent. Schließlich stoßen diese beiden einsamen Seelen aufeinander und erschaffen eine gelungene Liebesgeschichte, die gekonnt zwischen herzerwärmender Zuneigung, kindlicher wie naiver Zurückhaltung sowie schauderhaften Spannungsmomenten wechselt. Durch die grandiose schauspielerische Arbeit von Chloe Moretz und Kodi Smit-McPhee, entsteht so eine hervorragende Szenerie, die besonders vor Spannung teils kaum auszuhalten ist. Beide Jungstars hauchen ihren Figuren regelrecht beeindruckend, fast schon spielend, leben ein und geben so der Story ihren roten Faden. Allerdings verlässt sich Regisseur Reeves zum Finale hin zu oft auf seine beiden Hauptfiguren, ohne ein klares Ende vor Augen zu haben. Kurzzeitig erzeugt dies ein Gefühl der Schwerelosigkeit. Was für ein paar kleinere Längen sorgt, fühlt sich auf der anderen Seite jedoch richtig und wichtig an, sodass beide Charaktere schließlich ihren gemeinsamen Weg finden.
Auch von der Inszenierung her, ist Let Me In ein kreatives wie schauderhaftes Meisterwerk geworden, das besonders von seinen vielen Licht- wie Schattenmomenten lebt. Dass diese dabei gekonnt eingefangen wurden, dafür sorgte Kameramann Greig Fraser, der es gekonnt zu verstehen weiß, jede Szene so spannend wie möglich zu präsentieren. Die Kamera ist immer dicht am Geschehen, wechselt aber gekonnt die Positionen und erzeugt so grandiose Bilder der winterlichen Landschaft, die sich regelrecht ins Gedächtnis brennen. Die linearen wie offenen Kulissen, hier vor allem der Innenhof, sorgen dann für die nötige Atmosphäre und der stets präsente Score für die gruselige Stimmung. Für Fans von blutigen Horror-Eskapaden, ist indes der Vampir-Film nicht unbedingt geeignet. Horror fungiert bei Regisseur Reeves Werk nur als Stilmittel, welches die Beziehung von Owen und Abby voranbringt. Zwar geht es bei den Attacken von Abby relativ blutig daher, doch die Angriffe bleiben überschaubar. Dies ist auch gut so, denn anders als bei vielen Vertretern des Genres, wirkt so der Schockfaktor um ein vielfaches höher, denn Reeves spielt mit den Erwartungen sowie mit dem Unbekannten. Eine Mischung, die besonders Freunde des subtilen Horrors überzeugen sollte.
Fazit
Trotz berechtigter Befürchtungen, kann Regisseur Matt Reeves mit seiner eiskalten wie liebevollen Version von "So finster die Nacht" beweisen, dass ein Horror-Remake durchaus in der Lage ist, neue Akzente einer bekannten Geschichte zu offenbaren. So präsentiert sich "Let Me In" als fantastische Hommage an das Original, doch auch als Horror-Kino, welches eigenständig vollkommen überzeugen kann. Bleibt zu hoffen, dass bei Erfolg, auch Regisseur Tomas Alfredson und sein Werk wieder stärker in den Fokus rücken. Denn so oder so, ist die Geschichte über eine ungewöhnliche wie ungleiche Freundschaft, hervorragendes Kino, das man nicht verpassen sollte.
Autor: Thomas Repenning