Inhalt
Die Brüder Philipp (12) und Tobias (9) wachsen Anfang der 2000er in der ostdeutschen Provinz auf. Die Familie baut ein Haus. Der hagere Uwe, der auf der Baustelle hilft, ist plötzlich tot. Sein Absturz scheint das Schicksal einer ganzen Region widerzuspiegeln: zu viel Alkohol, keine Arbeit und eine DDR-Vergangenheit, von der man sich nicht befreien kann. Mit dem Einzug in das noch unfertige Haus beginnt der Zerfall der Familie. Der Vater wird arbeitslos, die Mutter versucht, die Dinge am Laufen zu halten. Mittendrin Tobi und Philipp, alleingelassen mit sich selbst. Im Gegensatz zur häuslichen und familiären Enge scheint die Landschaft grenzenlos.
Kritik
Auf dramaturgischer Ebene geht es Constanze Klaue ähnlich wie ihren Protagonisten. Stück für Stück driften die von einem trügerisch stabilen Punkt ins Abseits. Als ihnen das dämmert, ist es zu spät, um noch viel rumzureißen. Letztes versuchen auch die Schlussminuten des kantigen Sozialdramas und sind dabei genauso erfolglos wie die vierköpfige Familie aus der sächsischen Provinz. Dort ist alles schon kaputt, als die Welt von Tobi (Camille Loup Moltzen, Spencer) und Philipp (Anton Franke) noch heil scheint.
Tobi ist gerade in die 5. Klasse gekommen und mit seinem großen Bruder, Mutter Sabine (Anja Schneider, Schlamassel) und Vater Stefan (Christian Näthe, Echte Bauern singen besser) in ein neues Haus gezogen. Was zuerst nach Aufstieg aussieht, ist der verkappte Abstieg. Gefiltert durch den kindlichen Blick zeigt er sich in kleinen, prägnanten Alltagsszenen. Manche davon, wie ein altes Auto im Dorfsee, haben fast sarkastischen Symbolcharakter. Andere sind präzise beobachtete Momente klassistischer Erniedrigung, etwa wenn Tobis Lehrerin ihn scheinfreundlich systematisch bloßstellt.
Solange Klaue den Fokus gezielt auf das subjektive Empfinden der jungen Hauptfiguren richtet, funktioniert Adaption Lukas Rietzschels autobiografisch gefärbten Romans überraschend gut als desillusionierte Coming-of-Age-Story. Doch sobald sie das Situative zugunsten einer generellen Perspektive zurückstellt, fällt die Inszenierung in konventionelle Muster. Diese Verflachung ins Schematische folgt die karge Handlung. Der Vater wird erst arbeitslos, dann Alkoholiker, Philipp Nachwuchs-Neo-Nazi. Die Mutter ist vom Krankenschwestern-Nachtdienst zu ausgelaugt, um die Familie zusammenzuhalten. Die Tragik darin ist längst abgenutzt.
Fazit
Der starke Auftakt Constanze Klaues Verfilmung Lukas Rietzschels gleichnamigen Buchs verebbt in eine jener typischen Erzählungen von sozialstrukturellem Zerfall und provinzieller Verarmung Anfang der 2000er. Wirtschaftsaufschwung bleibt Wunschdenken. Den Kindern vererbt man nur den unteren Klassenstatus. Den kollektiven Frust betäuben Alkohol und Neo-Faschismus. Letzter soll Zeitaktualität und Problembewusstsein unterstreichen, gerät aber zum hohlen Allgemeinplatz. Die interessanten Ansätze des patent gespielten Ensemblestück sind trotz der Schwächen unübersehbar in dem atmosphärisch und farblich gleichsam trüben Porträt provinzieller Perspektivlosigkeit.
Autor: Lida Bach