Little Richard war und ist eine Ikone. Nicht nur eine Ikone des Rock ‘n‘ Roll, sondern ebenso der afro-amerikanischen Musikszene und der Queer-Szene. Er war ein Vorbild und Idol, ebnete vielen anderen Künstlern den Weg, inspirierte sie und überwand die Grenzen gängiger Konventionen in einer Zeit, in der in Amerika noch eine strickte Rassentrennung galt und selbst Radiosender und Musikcharts noch streng getrennt waren. Obwohl seine Bedeutung für die Entwicklung von Musik und Gesellschaft nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, wurde ihm eine Anerkennung für seine Verdienste erst sehr spät gewährt. Little Richard führte ein Leben voller Widersprüche, geprägt von tiefer Religiosität und dem Drang sich offen auszuleben und seinem eigenen Ich zu folgen. Vor allem seine früheren Shows spiegeln genau das wider, denn Little Richard wirkt trotz seiner glitzernden Outfits und seines Make-ups wie ein Prediger in der Kirche, der seine Schäfchen in den Bann zieht. Für sein eigenes Leben bedeutete es vielmehr eine Existenz zwischen offener Homosexualität und Selbstverleugnung. Es gab Phasen seines Lebens, in denen er sogar behauptete von seiner Homosexualität geheilt zu sein und er seine eigene Musik verteufelte, doch immer wieder zog ihn das Showbiz zurück auf die Bühne und ins Rampenlicht und er konnte seine Extravaganz wieder ausleben und auch wieder zu seiner Sexualität stehen.
Lisa Cortés (Reggae: The Story of Jamaican Music) widmet sich in ihrer Dokumentation Little Richard: Never Play by the Rules dem Leben dieses Ausnahmekünstlers und beleuchtet dabei seine Bedeutung für die Musikhistorie genauso wie seine Vorreiterrolle für queere Künstler und zeigt, wie seine Musik ein Beitrag dazu leistete Rassengrenzen abzubauen, denn er war sowohl bei schwarzen als auch weißen Teenagern beliebt. Dabei kommen Menschen aus seinem persönlichen Umfeld, aber ebenso zahlreiche Künstler zu Wort, die mit ihm gearbeitet haben oder deren Karriere er einen entscheidenden Anstoß verpasst hat. Sie erzählen von ersten Begegnungen, davon, dass er Vorbild und Inspiration war und zugleich dem ein oder anderen entscheidende Tipps für die eigene Musik und Bühnenperformance gab. Dadurch wird sein enormer Einfluss auf die späteren Generationen erst deutlich. Ob Beatles, Rolling Stones oder David Bowie, sie alle nennen Little Richard als wichtigsten Einfluss ihrer eigenen musikalischen Identität. Doch obwohl Little Richard als schwarzer Musiker auch das weiße Amerika eroberte, zeigt die Doku, wie schwer es für ihn als Künstler selbst auf dem Höhepunkt seiner Karriere war. Die Fans jubelten ihm zu, die Plattenindustrie und das konservative Amerika nutzte seine Unbedarftheit und Unerfahrenheit jedoch aus und ließ seine Songs durch weiße Künstler covern. Selbst ein Elvis Presley, der ihm später immerhin viel Anerkennung entgegenbrachte, war einer dieser Künstler, die ihre Platten sogar noch deutlich erfolgreicher verkauften.
Anerkennung war das, wonach sich Little Richard zeitlebens sehnte und die er gerade in späteren Jahren auch immer offener einforderte. Ihm genügte es nicht, dass er von seinen Fans angehimmelt wurde, denn er wollte die Anerkennung der Musikindustrie, die ihn jahrelang ausnutzte und teils um seine Tantiemen betrog. Er wollte als einer und aus seiner Sicht wichtigster Künstler des Rock ‘n‘ Roll gesehen werden, der diese Musikrichtung quasi erfand. Er wollte Preise und Wertschätzung. Cortés nutzt zahlreiche Interviews, Fernseh- und Showauftritte Little Richards, um das 2020 verstorbene Musikgenie selbst zu Wort kommen zu lassen und dabei wird dieses Streben nach Anerkennung zu einem, gerade in den späteren Jahren, prägenden Element. Die vielschichtige Dokumentation widmet sich zugleich der Person Little Richard im Ganzen und erzählt das Leben des Ausnahmekünstlers weitestgehend chronologisch nach, was für das Verständnis über die Person unerlässlich ist, um zu begreifen, wer er war. Anschaulich wird die private Seite des Virtuosen ebenfalls durch die Erzählungen von Freunden, Verwandten, Wegbegleitern und Little Richard selbst, dargestellt, und zwar genauso spannend, interessant und abwechslungsreich, wie seine musikalische Karriere.
Dabei wird deutlich, wie der nach außen oft sehr lebensfrohe Mensch innerlich doch sehr hin- und hergerissen war, zwischen seiner Sexualität und seiner Extrovertiertheit und seiner Religiosität und Spiritualität. Diese Gegensätze ziehen sich seit seiner frühsten Kindheit durch sein Leben und je nach Lebensphase versuchte er dadurch inneren Frieden zu erlangen und für sich das Glück zu finden. In seinem Leben gibt es mehrfach Brüche, die ihn dazu geführt haben, seine Karriere abrupt zu beenden und sich der Religion zuzuwenden. Doch fand er den Weg auf die Bühne und in die Öffentlichkeit stets zurück. Diese Religiosität ist durchweg Bestandteil seiner Musik (in späteren Phasen nimmt er sogar reine Gospelalben auf), genauso wie seine Sexualität. Songs wie Tutti Frutti waren anfangs deutlich obszöner und sexualisierter, als sie es so schon sind und dennoch wollte er sich stets zwischen einem der beiden wichtigen Elemente seines Lebens entscheiden. Die Getriebenheit und die Suche nach sich selbst, waren offenbar sein starker Antrieb für seine musikalische Karriere, führten aber ebenso zur absoluten Selbstverleugnung und dem öffentlichen Bekenntnis von seiner Homosexualität „geheilt“ zu sein. Dieser umfassende Blick auf das Leben Little Richards macht diese Doku absolut sehenswert.