Videospiele sind nicht mehr das, was wir vor 20 Jahren unter diesem Begriff verstanden. Schon lange nicht mehr. Während viele Titel mit einer spannenden Geschichte, einem eigenen Universum und mit den Stimmen berühmter Filmschauspieler daherkommen („Mass Effect“), sind andere Spiele so künstlerisch wertvoll, dass einem fast die Tränen kommen („Journey“) und weitere die Vorstellungskraft des Menschen bis ins Unermessliche visualisieren lassen („Minecraft“). Vorbei sind die Zeiten des „Super Mario“-Monopols, die Produktion eines Blockbuster-Games’ drückt mittlerweile stärker auf die Brieftasche, als so manche Action-Kinoproduktion und füllt diese im Gegenzug schneller als man die Münzen zählen kann. Dadurch, dass ein Spiel oftmals mit 50 Euro oder höher zu Buche schlägt, herrscht eine erbarmungslose Konkurrenz auf dem Spielemarkt. Schließlich können sich nur die wenigsten Kunden mehrere Spiele im Monat leisten, was oftmals dazu führt, dass ein teuer finanziertes Videogame floppt, was wiederum sehr schnell die Insolvenz des Entwicklungsstudios und den Verlust von hunderten Arbeitsplätzen zur Folge haben kann, so geschehen vor wenigen Monaten mit dem beliebten Publisher THQ. Durch Crossmedia-Publishing versuchen viele Verleiher ihre Produktreihen dicker und breiter aufzufahren, der Veröffentlichung des Spiel folgt heutzutage meist ein eigener Roman, ein Brettspiel, Action-Figuren, eine iPhone- und iPad-App, eine Biersorte und, wie im Falle von „Halo 4: Forward Unto Dawn“, sogar ein eigener Spielfilm. Letzteren preiswertere Variante wären Animes. Nach „Dragon Age: Dawn of the Seeker“ erschien nun ein weiterer Zeichentrickfilm aus Japan, der dem anderen großen BioWare-Franchise eine Verfilmung spendiert.
Im Gegensatz zum „Dragon Age“-Pendant erweist sich „Mass Effect: Paragon Lost“ als eine vorlagentreuere Darstellung des eigenen Universum. Während „Dawn of the Seeker“ noch viele Fans der Vorlage mit dem Design entfremdete, bringt „Mass Effect: Paragon Lost“ Elemente der „Mass Effect“-Spiele ein und sorgt beim Zielpublikum für ein wohles „Zuhause-Gefühl“. Im späteren Verlauf des Films, erweist sich dies leider auch nur als eine Farce. Zwar sehen alle Waffen, Rüstungen, Kleidungen, Fahrzeuge aus, wie die Fans sie erkennen und lieben gelernt haben, und auch die Biotik macht der Vorlage mit seiner wuchtigen und coolen Inszenierung alle Ehre, doch versäumt es „Mass Effect: Paragon Lost“ viele Kernkomponenten dessen darzustellen, was die Liebhaber der Sci-Fi-Reihe eigentlich so bindet. Die Vorstellung, dass die Menschheit nur ein winziger Teil einer gigantischen galaktischen Gemeinschaft ist. Im Gegensatz zu „Star Wars“, „Star Trek“ und anderen Sci-Fi-Reihen überzeugte „Mass Effect“ immer mit einem unvorstellbaren Grad an Realismus. Da die Menschheit erst wenige Jahrzehnte vor Beginn der Handlung in die galaktische Gemeinschaft eingetreten ist (dem ein kleiner Krieg mit der militanten Rasse der Turianer vorausging) und sich in wenigen Jahren vieles aneignen konnte, wofür andere Rassen Jahrzehnte benötigten, begegnen viele den Menschen nicht selten mit Skepsis, Argwohn, teilweise sogar mit Rassismus. Mit seinen realen Themen, die allesamt in der detaillierten Vorgeschichte eingeflochten sind, besitzt „Mass Effect“ eines der komplexesten Universen, nicht nur im Spielesektor, sondern ebenso was Film und Literatur angeht. In seinem Realismus, der im krassen Gegensatz zur Sci-Fi-Thematik steht, geht „Mass Effect“ den selben Weg, der mit dem von George R. R. Martins „Das Lied von Eis und Feuer“ (Sprich: „Game of Thrones“) verglichen werden kann.
Dafür, dass ich den dramatischen Tod bestimmter Charaktere in „Mass Effect 3“, die ich über zwei oder drei Spiele kennen und lieben gelernt habe, nur durch das literweise Vergießen von Tränen überstanden habe, bleiben alle Figuren in „Mass Effect: Paragon Lost“ ausnahmslos blass und langweilig. Zwar war James Vega ein wichtiger Charakter in „Mass Effect 3“, der aber augenscheinlich nur in das Spiel geworfen wurde, um Neulingen den Einstieg zu erleichtern (was sowieso absurd wäre. Man guckt ja auch nicht „Return of the King/Jedi“ vor dem ersten und zweiten Teil). Auch in der Verfilmung bleibt der Marine einfach nur farblos. Zwar wird eine auf den Zuschauer peripher wirksame Beziehung zu einem Kind aufgebaut, aber der Tod eines Kindes ist auch ein ziemlich „billiges“ Mittel, dem Publikum ein wenig Interesse abzuringen. Nicht nur bleiben alle Figuren uninteressant, sondern hätten klischeehafter nicht ausfallen können. Es gibt den Witzbold, die toughe Frau, den Computer-Nerd, den stillen Scharfschützen etc. Der Overload an Pathos ist teilweise einfach nur unerträglich. Pathos kann ein sehr effizientes Stilmittel sein. „300“ war Pathosgewichse par excellence, allerdings konnte man jedem geschwollenen Monolog oder Voice-Over nur mit einem „Fuck Yeah“ begegnen. In den Momenten, in denen „Mass Effect: Paragon Lost“ ergreifend und Gänsehaut erregend wirken möchte, versagen die teilweise fremdschämenden Dialoge. Erfreulicherweise kann das äußerst mutige Ende punkten, wobei jedoch diese harte, „Mass Effect“-typische Entscheidung, die James Vega am Ende treffen muss, in der Vorgeschichte von „Mass Effect 3“ bereits vordefiniert war und somit nicht dem Drehbuchautor zugerechnet werden darf. Ansonsten hätten wir wohl mit einem kitschigen „In letzter Sekunde“-Happy End rechnen können, wie es oftmals so ist.