Inhalt
Baran, einst ein Held des kurdischen Unabhängigkeitskrieges, lebt unter dem Gefühl, dass er für die Gesellschaft nicht mehr von Nutzen ist, seit ein Frieden in Form einer Waffenruhe ingekehrt ist. Trotzdem erklärt er sich bereit, einen Polizeidienst in einem kleinen Tal anzutreten, das im Grenzgebiet zwischen Türkei, Iran und Irak gelegen ist. In dem gesetzlosen Niemandsland angekommen, weigert sich Baran, sich dem örtlichen Warlord Aga Azzi zu beugen. Gemeinsam mit der Lehrerin Govend steht er für ein neues Gesetz und den jungen autonomen Kurdenstaat.
Kritik
Bei den Filmfestspielen von Cannes präsentiert die Sektion "Un Certain Regard" oft bessere und/oder interessantere Filme als der eigentliche Wettbewerb. Neben dem deutschen Beitrag "Tore tanzt" konnten sich Festivalgänger letztes Jahr ebenfalls die neuste Regiearbeit von Hiner Salem zu Gemüte führen. Die deutsch-französisch-kurdische Koproduktion beschäftigt sich mit einem Land, dass sich seit nunmehr einem Jahrzehnt im Aufbau befindet. Nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 besteht die föderale Region Kurdistan als eine Art Teilstaat innerhalb des Iraks. Kurdistan ist zwar noch kein eigener Nationalstaat, dennoch haben die Kurden ihr eigenes Parlament, ihre eigene Regierung, eine eigene Armee und eine nationale Polizeikraft. Sie befinden sich mitten im Wiederaufbau und benötigen dafür dringend eine funktionierende Infrastruktur. Um das zu ermöglichen muss auch in den entlegensten Gebieten Gesetz und Ordnung herrschen. Das ist auch der Traum des Protagonisten Baran. Im Zuge dessen - und um seiner verkuppelungsfreudigen Mutter zu entkommen - beschließt er in ein abgelegenes Dorf am Grenzgebiet zum Iran, Irak und der Türkei zu ziehen und sich dort als Polizeikommandant zu behaupten.
"Unsere Vergangenheit ist traurig, unsere Gegenwart tragisch, aber zum Glück haben wir auch keine Zukunft"
Tragikomische Sätze wie diese prägen das Filmschaffen des kurdischen Filmregisseurs. Schon in jungen Jahren brachte sein Großvater sie ihm mit einem Lächeln im Gesicht näher. Dass er ein Händchen für diese Mischung aus Tragik und Komik hat, bewies Hiner Salem schon in seinen vorherigen Filmen. Mit dem beißenden Humor verleiht er der ernsten Thematik eine gewisse Leichtigkeit, die das ganze erträglicher, aber nicht weniger ernsthaft macht. Auch "My Sweet Pepper Land" wird oft durch witzige Einfälle aufgelockert. Gleich zu Beginn des Films schaut das Publikum bei einer Hinrichtung zu. Nachdem die Hinrichtung aufgrund eines gerissenen Seils fehlschlägt wird darüber diskutiert, ob man einen neuen Versuch startet oder der Straftäter freigelassen wird. Diese absurde und überzeichnete Szene ist wegweisend für die weitere Stimmung des Films. Baran (Korkmaz Arslan) scheint der einzige sein, der die Absurdität des Geschehens versteht. Der ehemalige Freiheitskämpfer will sein Land lieber aktiv unterstützen als mit anderen hohen Tieren über den Fortgang einer gescheiterten Hinrichtung zu palabern. Auch die junge Govend (Golshifteh Farahani) will in ihrem Leben etwas leisten. Etwas, das von Bedeutung ist. In einem abgelegenen Dorf an der Grenze möchte sie Kinder unterrichten. Aziz Aga (Tarik Akreyi), dem selbsternannten Oberhaupt des Dorfes, gefällt das allerdings gar nicht. Allen Widrigkeiten zum Trotz setzen sich die beiden Neuankömmlinge gegen all ihre Feinde durch. In diesem kurdischen Western mischt Hiner Salem Thematiken wie den Kampf um Freiheit und gegen Unterdrückung unter und hinterfragt dabei geschickt das Frauenbild in islamisch geprägten Ländern. Das neue Kurdistan verspricht Freiheit und Gleichberechtigung - dass dies allerdings nicht für die Frauen zu gelten scheint wird hier schnell deutlich.
Golshifteh Farahani versteht sich darin, dem Zuschauer diese wichtige Botschaft zu vermitteln. Schon letztes Jahr konnten sich deutsche Kinogänger in "Stein der Geduld" von ihrem Talent überzeugen. In "My Sweet Pepper Land" erreicht sie neue, ungeahnte Kräfte. Ihr Spiel ist von einer Intensität und Überzeugungskraft geprägt, die den Film fast schon alleine tragen könnte. An ihrer Seite steht ein ebenso guter wie überzeugender Korkmaz Arslan, der zwar laut eigenen Aussagen noch nie einen der großen Western gesehen hat, mit seinem Auftritt aber stark an Genrelegenden wie Clint Eastwood oder John Wayne erinnert. Beiden gelingt es sowohl die erfrischende Leichtigkeit, als auch die melancholische Schwere des Films zu vermitteln. Tarik Akreayi ist als Aziz Aga der perfekte Gegenpol zu den beiden. Seine Ausstrahlung wirkt nicht nur durch seine brutalen und angsteinflößenden Schergen Ehrfurchtgebietend.
"Gott habe zehn Kurden erschaffen und dann noch einen elften, um die anderen zum lachen zu bringen"
Hiner Salem erzählt das ganze mit viel Gefühl und Humor. Sein kurdischer Western - der auch ohne Probleme den Titel "Once Upon a Time in Kurdistan" tragen könnte - präsentiert sich in einer solch melancholischen Schönheit, wie man sie nur selten sieht. Für eine gelungene Atmosphäre sorgen hierbei nicht nur die schöne Western Musik, gepaart mit einigen nahöstlichen Stücken und dem beeindruckenden Hangspiel von Golshifteh Farahani, sondern auch Pascal Auffray hinter der Kamera, der zu jedem Moment die richtigen Bilder einzufangen weiß.
Fazit
Mit dem schwarzhumorigen Drama "My Sweet Pepper Land" ist Hiner Salem ein atemberaubend bebilderter Western mit Tiefgang gelungen, der noch lange nachwirkt.
Autor: Tobias Bangemann