Alltäglicher Betrieb im Restaurant La Barca: Das Küchenpersonal samt Koch Djair (Irandhir Santos, Elite Squad 2: Im Sumpf des Verbrechen) ist unzufrieden mit den Arbeitsbedingungen. Die Kellner sind ausgelaugt und verspannt, wobei sich vor allem Sara (Luciana Paes, Gute Manieren) durch einen Zustand quält, der die äußere Herabwürdigung und innere Selbstverachtung verbindet, während der Chef des Lokals, Inácio (Murilo Benício, Liebe, Sex und Seitensprünge), endlich den ersten Michelin-Stern erhalten möchte, die Erfüllung dieses Wunsches aber in die Hände seiner Angestellten legen muss. Jenen Menschen, die nicht sonderlich gut auf ihn zu sprechen sind. Kein Wunder, dass die Atmosphäre hinter den Kulissen äußerst angespannt ist. Es kommt allerdings noch schlimmer, denn in dieser Nacht wird sich zeigen, dass hinter der Fassade geläufiger Konflikte beklemmende Abgründe lauern.
Nachdem sich nicht nur zwei unhöfliche Gäste kurz vor Ladenschluss ins La Barca verirren und mit dem besten Wein des Ladens sowie einem außergewöhnlichen Gaumenschmaus bewirtet werden wollen, sondern auch zwei junge Männer mit Waffengewalt versuchen, die Kasse zu leeren, zückt Inácio ebenfalls eine Pistole und schießt einem der Räuber kurzerhand in die Brust. Die Situation eskaliert, der Schuss jedoch war erst der Anfang und The Friendly Beast schreitet stufenartig in das düstere Wesen des Menschen vor, welches hinter den domestizierten Schalen der Zivilisation versperrt wurde. Inácio schließt sich mit Sara zusammen, sie ergreifen die augenscheinliche Kontrolle über die Situation, während der Rest tyrannisiert, bedroht und bewegungsunfähig gemacht wird. Worum es brasilianischen Regisseurin Gabriele Amaral in ihrem Debüt geht? Um Macht und deren divergierende Ausformungen.
Inácio, der sich in seinem männlichen Stolz verletzt sieht, weil er nicht in der Lage ist, kreativ zu sein, um den persönlichen Erfolg selber in die Wege zu leiten, bekommt durch die Waffe in seiner Hand endlich die Möglichkeit, Menschen gefügig zu machen. Sara, die unterdrückt und ausgebeutet wird, nicht zuletzt aus dem Grund, weil sie eine Frau ist, heftet sich an Inácio, um sich nach und nach selbst eine Plattform zu erschaffen, die ihr Einfluss, Respekt und Stärke zuspricht. Interessant zu beobachten ist dabei, wie The Friendly Beast Machtstrukturen definiert. Zuerst einmal ist es so, dass er die Fronten zwischen Täter und Opfer nicht geschlechterspezifisch auseinander dividiert, anhand von Inácio und Sara allerdings veranschaulicht er dennoch, wie unterschiedlich sich Macht auf das eigene Wesen auswirken kann.
Die Rückkehr zu den Urtrieben, zum Ursprünglichen und zum Verdrängten, kristallisiert in der örtlichen Abgrenzung von Küche, Gast- und Lagerraum ein Gesetz des Wilderen heraus, bei dem Inácio seinen Bediensteten im Verlauf der Geschichte gnadenlos unterliegt. Das Tierische seiner Seele, die Verwandlung zur Bestie, zerstört ihn letzten Endes, während Saras Wiederaufflammung ihrer animalischen Natur zur Selbstermächtigung führt. The Friendly Beast ist dabei nicht nur Genre-Machtspiel, sondern auch rohe, suggestiv arrangierte Spiegelung sozialer Realitäten, in die der Klassenkampf genauso einfließt wie Genderkonflikte. Was alle Charaktere verbindet, ist ihr Fleisch. Fleisch, welches man mit einer Klinge zum Bluten oder einem prallen Schwanz zum Beben bringen kann. Oder man verzehrt es, sorgfältig tranchiert mit dem elektrischen Messer. Friss oder stirb, ganz ohne überflüssige Psychologisierung. So sind wir nun mal, Schlachtvieh oder Metzger.