Inhalt
Pulitzer-Preis-Gewinnerin Isabel Wilkerson stößt durch einen Kriminalfall auf eine faszinierende These, die sie zu einer tiefen Auseinandersetzung mit den Ursprüngen und Methoden gesellschaftlicher Spaltung führt. Ihre Erkenntnisse fließen in ein maßstabsetzendes Werk von ungeahnter gesellschaftlicher Relevanz.
Kritik
„Race is not enough“, erklärt Isabel Wilkerson (Aunjanue Ellis-Taylor, Die Farbe Lila) in Ava DuVernays (Das Zeiträtsel) historiographischer Kombination von Persönlichkeitsportrait und Buch-Bebilderung. Jene antinomischen Erkenntnismomente der Pulitzer-preisgekrönten Autorin zeigen nicht wie beabsichtigt die Brillanz ihrer titelgebenden Thesen und deren akademistischer Adaption. Deren demonstrative Dramatisierung der historischen Hintergründe, die Kernkonzepte Wilkersons einflussreicher Analyse der Methodik sozialer Schichtung und Segregation gerät in ihrer Bemühung, das Publikum nicht intellektuell zu überfordern, zu simplizistisch und sinnfällig. Das reduziert den Erkenntniswert der illustrativen Inszenierung.
Die beginnt in Get Out Style mit einem schwarzen Jugendlichen, der auf dem Weg durch ein weißes Viertel seine wachsende Beunruhigung über ein ihm folgendes Auto am Telefon teilt. Die Ermordung des 17-jährigen Trayvor Martin initiiert indirekt Wilkersons Auseinandersetzung mit der Frage nach den unterliegenden Faktoren gesellschaftlicher Division. Dass jene nicht allein mit Rassismus erklärt werden kann, ist allerdings derart offensichtlich, dass der darauf aufgebaute Heureka-Moment noch weniger überzeugt als der argumentative Fokus auf Endogamie.
Partnerschaft ist schließlich nur ein kleiner Rahmen zwischenmenschlicher Interaktion, die am Arbeitsplatz, in Bildungs- und Freizeiteinrichtungen sowie im öffentlichen Raum stattfindet. Doch Gegenargumente werden praktisch nie gehört und wenn doch, wie beim Dinner mit jüdischen Bekannten, entzieht sich die Protagonistin lieber der Diskussion. Ohne eine solche bleibt der Handlung nur trockene Theorie. Kanonisierende Kameraaufnahmen zeigen Wilkerson vorm Bildschirm brütend, bei der Recherche in Quellenliteratur und an der Tafel. Das Resultat ist eine filmische Lehrbuch-Lektion.
Fazit
Womöglich hätte Ava DuVernay das hochgelobte Sachbuch ihrer Hauptfigur, die aus dem Off ihre Hypothesen vorliest, besser in eine Dokumentation wie The 13th umgesetzt statt in eine dramaturgische Dissertation. Die unterbricht die nüchternen Gegenwartsszenen akademischer Aufarbeitung mit an TV-Doku-Serien erinnernde Rückblenden ins Ante-Bellum-Amerika, Deutschland des Nationalsozialismus und Indiens Kolonialzeit. Doch dies bringt nur schulmeisterliche Schwerfälligkeit statt der bitter vermissten Dynamik. Dabei kaschiert die Sentimentalität von Soundtrack und Schauspiel nur unzureichend die anekdotische Anfechtbarkeit der Vorlage.
Autor: Lida Bach