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Quelle: themoviedb.org

Inhalt

Auf der Abschlussparty seines frisch abgedrehten Filmes fällt dem deutschen Filmemacher Tomas erst in die Arme seines britischen Ehemannes Martin, dann lernt er die junge Grundschullehrerin Agathe kennen. Aus einem Tanz entwickelt sich ein Flirt, aus dem eine leidenschaftliche Nacht wird. Am nächsten Morgen erzählt Tomas Martin stolz davon, mit einer Frau geschlafen zu haben. Als sich aus dem One-Night-Stand mehr entwickelt, beginnt sich die Männerbeziehung zu verändern. Es entspinnt sich eine Beziehungsgeschichte, die von Leidenschaft, Eifersucht und Narzissmus geprägt ist und in der es wenig Gespür für die Bedürfnisse der anderen gibt.

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Quelle: themoviedb.org

Kritik

Es ist bereits eine Weile her, dass Rainer Werner Fassbinder einen Film gemacht hat. Und wenngleich zu befürchten steht, dass sich daran, sofern die AI-Entwicklung der kommenden Jahre nicht in ungeahnte Dimensionen vorstößt, so bald nichts ändern wird, finden wir in Ira SachsPassages durchaus eine Vision dessen, wie ein Fassbinder-Film im Jahr 2023 aussehen könnte. Zugegeben, es ist ein Fassbinder ohne Interesse an ökonomischen Fragen. Oder gesellschaftspolitischen. Der Vergleich, so lässt sich schnell erkennen, führt uns nur bis zu einem gewissen Punkt, und es ist lohnenswert zu fragen, was übrig bleibt ohne diesen gewichtigen „Ballast“, dessen sich Sachs hier entledigt. Denn wer heute in Fassbinder-Filmen eine dramaturgische Nähe zur Telenovela erkennt, mag nicht Unrecht haben, verkennt aber womöglich, dass es diese Dramatisierung ist, die die Thematisierung der dem Fassbinder’schen Kino unterliegenden sozioökonomischen Fragen erst ermöglicht.

Ira Sachs (Love Is Strange, Little Men) fokussiert sich in Passages hingegen vollends auf das persönliche Drama einer zwischenzeitlich angedeuteten, sich jedoch nicht manifestieren wollenden, ménage à trois, in deren Zentrum er Franz Rogowski (Transit, Große Freiheit) als passionierten Filmemacher Tomas platziert, der mit seinem Ehemann (Ben Whishaw, Women Talking, No Time to Die) ein Künstlerleben im Zentrum von Paris führt – natürlich mit dem Wochenendhaus auf dem Land, um gelegentlich dem Trubel der Stadt zu entkommen. Als Adèle Exarchopoulos als Agathe auf den Plan tritt und der sich eigentlich als schwul verstehende Tomas mit ihr anzubandeln beginnt, löst er damit eine nicht mehr zu bremsen scheinende Pendelbewegung aus, die ihn abwechselnd zu dieser zieht, wenn er sich jenem sicher glaubt, ihn dann allerdings auch wieder von jener abstößt, wenn dieser unerreichbar erscheint.

Wie, als wolle Sachs nahtlos an deren Durchbruchsrolle in La vie d’Adèle anknüpfen, treffen wir Adèle Exarchopoulos wieder als Grundschullehrerin an, die, auf der einen Seite des Liebespendels, sowohl ein traditionelles Eheleben als auch die Aussicht auf Kinder verspricht und somit eine gewisse Art des Ankommens verkörpert. Tomas‘ britischer Noch-Ehemann Martin auf der anderen Seite, der als Grafikdesigner, wie Tomas, einer kreativen Tätigkeit nachgeht und mit seinem avantgardistischen Künstlerïnnen-Freundeskreis ein Leben des permanenten inspirativen Austauschs verspricht, bedeutet zugleich auch ein Leben der Reibung und der Unsicherheit, die sich bei Tomas immer besonders dann einstellt, wenn er die zum obersten Gut erklärte Unabhängigkeit  seines Mannes als Bedrohung der ihm zuteilwerdenden Aufmerksamkeit auffasst.

Während Martin Tomas‘ Untreue, die dieser sofort voll selbstbezogener Aufgeregtheit mit ihm teilt, zunächst noch versucht, herunterzuspielen „This always happens when you finish a film“, deutet sich bereits an, wohin die Reise geht, als Tomas seinem Mann vorwirft, dass sich dieser nicht für ihn freue. Sie endet (vorerst), nach einer Fahrt mit dem Rennrad über die dicht gewundenen Straßen von Paris, in den Armen Agathes. So setzt sich die Geschichte in steter Unstetigkeit fort, entspinnt sich weiter, wenn Tomas entdeckt, dass Martin nach ihrer Trennung eine Beziehung mit einem französischen Schriftsteller eingeht, und weiter, als Tomas im brauchfreien Outfit erstmals die Bekanntschaft mit den Eltern Agathes macht und sich nur bis zu einem gewissen Punkt willens zeigt, deren Sorgen über die Zukunft ihrer potenziellen Enkelkinder Gehör zu schenken.

Wenngleich Ira Sachs in seiner Liebesgeschichte nicht mit einem thematischen Unterbau aufwarten kann, so plätschern diese Szenen doch nicht bloß dahin, sondern sind nahezu durchgängig von großem Amüsement und ästhetischer Präzision. Bereits in der Eröffnungsszene zeigt sich dies, als uns Tomas am Film-Set — eine urig anmutende Keller-Bar — als obsessiv-perfektionistischer Regisseur vorgestellt wird, der sich zunächst über das leere Weinglas einer Statistin echauffiert, bevor er wenig später angesichts des Ganges einer anderen Darstellerin, der zu stark von einer inneren Befangenheit zeuge, ungehalten wird. Tomas‘ Narzissmus deutet sich in diesen ersten Minuten bereits an, lässt sich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch mit dessen rigorosen Arbeitsethos erklären. Später stellt sich dieses Unterfangen schon als bedeutend schwieriger dar.

Tatsächlich ist Sachs weniger auf Sympathien für seinen wankelmütigen Protagonisten aus, als dessen rücksichtslose Orientierungslosigkeit einzufangen, die sich, hin- und hergerissen zwischen dem bourgeoisen und avantgardistischen Leben, in jeder Aktion Tomas‘ äußert, dabei immer Impuls, niemals bewusste Entscheidung ist. Regie und Drehbuch verhalten sich hier bewusst neutral; weder ist Sachs daran gelegen, Tomas seine Verfehlungen vorzuwerfen, noch ist er übermäßig darum bemüht, diesem Mitgefühl oder gar Mitleid entgegenzubringen. In dieser Hinsicht zeigt sich Sachs durchaus lebensbezogen und unromantisch: Nicht in der Lage, einen Sinneswandel und damit ein handlungsleitendes Umdenken in Tomas herbeizuführen, nähert sich die Position seiner beiden Geliebten zunehmend der unseren, der Zuschauerïnnenposition.

Auch in diesem gesamtdramaturgisch sozialrealistischen Ansatz spiegeln sich die eingangs angemerkten, schwerlich zu übersehenden Anleihen bei Fassbinder. Freilich, das analoge Filmkorn, das schmalere Bild-Format, der 80er-Jahre-BMW und das queere Setting, inklusive der herausstechenden Outfits (Trägt Tomas wirklich eine Krokodillederjacke?) dürften ihr Übriges tun, um Verbindungen zum deutschen Großmeister herzustellen. Dass sich Sachs thematisch allerdings allein auf die Liebe zurückzieht, sorgt dafür, dass sich Passages bisweilen in Banalität verliert. Weder darauf aus, uns eine Auseinandersetzung mit den Tiefen wahrhaftiger Psychen zuzumuten, noch, uns die Figuren allein anhand ihrer Entscheidungen zu präsentieren, verliert sich Passages und damit uns in ein seltsames Niemandsland, von dem aus es sich einerseits aufgrund des nicht um Parteinahme bemühten Ansatzes des Drehbuchs und der Regie als schwierig erweist, eine Bindung zu Tomas herzustellen, während die Charaktere andererseits zu klar silhouettiert sind, um Interesse oder gar Faszination auszulösen.

Seine Stärken spielt Sachs indes immer dann aus, wenn verschiedene Figuren und Lebenskonzepte (oder auch nur Anschauungen) aufeinandertreffen. Diese Szenen sind es auch, die uns an die Dreidimensionalität der Figuren erinnern und die dargestellte Welt zu einer lebendigen werden lassen. So etwa, als Tomas während eines Bar-Abends mit seinem Mann und dessen Künstlerïnnen-Freundïnnen mit einem gefeierten Jungautoren ins Gespräch kommt, der kürzlich sein literarisches Debüt feierte. Es ist eine eher subtile Szene, in der Tomas, obzwar ohne jedwede Aggressivität, darauf besteht, dass der junge Schriftsteller schon bald seinen Nachfolgeroman schreiben werde, während dieser, um Zurückhaltung bemüht, insistiert, dass er dies nicht vorhabe. Auch hierin äußert sich Tomas überbordender Egozentrismus, der es ihm erschwert, von sich selbst zu abstrahieren und die Möglichkeit anders gelagerter künstlerischer Instinkte in Erwägung zu ziehen.

Weniger subtil, dafür ebenso effektiv und ungleich unangenehmer, kommt das erste gemeinsame Mittagessen mit Agathes Eltern daher, in welchem es zunächst so scheint, als würde sich Sachs auf der bloßen Prämisse des Zusammentreffens zwischen einem sich im Rentenalter befindlichen, kleinbürgerlich-verheirateten Ehepaar und dem Freigeist Tomas ausruhen. Stattdessen zeigt sich in diesen Szenen insbesondere Sachs‘ inszenatorisches Selbstvertrauen, indem er einerseits nicht davor zurückscheut, dem Publikum vermutlich bizarr oder gar unverständliche dialogische Abzweigungen zuzumuten und andererseits vollends auf Franz Rogowski und dessen die gesamte Szene dominierende Präsenz vertraut.

Gen Ende sehen wir jenen Franz Rogowski, länger als noch eingangs, erneut mit dem Fahrrad durch die Straßen Paris‘ fahren. Weiter und immer weiter fährt er, vom Nachmittag bis in die Nacht hinein. Die Fahrt ruft uns den Titel in Erinnerung, Passages: Durch- oder Übergänge, die vom einen zum anderen Ort, von der einen zur anderen Zeit, vom einen Lebensabschnitt zum nächsten führen mögen. Am Ende scheint es jedoch unklar, ob Tomas jenen aktuellen Abschnitt seines Lebens wirklich durchschritten hat, oder ob dieser, bis auf weiteres, andauern wird.

Fazit

Es käme einer Lüge gleich, Passages seine inszenatorische Kunstfertigkeit, seinem zentralen Schauspieltrio die Verve, dem Drehbuch die soziologische Beobachtungsgabe abzusprechen. Der großen Liebesgeschichte, die Regisseur Ira Sachs präsentieren möchte, mangelt es indes gleichzeitig an Enigma und Verletzlichkeit. Statt zu einem dieser beiden Pole – Distanz und Nahbarkeit – auszuschlagen, schwingt das Tomas’sche Pendel der libidinösen Nichtigkeit weiter hin und her und scheitert auf diese Weise daran, uns für es einzunehmen.  

Kritik: Patrick Fey

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