Inhalt
Marthas Leben gerät aus den Fugen. Nach einer Hausgeburt mit tödlichen Folgen droht nicht nur der Prozess gegen die verantwortliche Hebamme, sondern auch eine handfeste Ehekrise mit ihrem Mann Sean.
Kritik
Eine Schwangerschaft, die nicht mit dem Wunder des Lebens endet, sondern mit dem Horror des Todes in Bewegung setzt, ist nicht nur von einem gar irrealen Gefühl des Schmerzes konnotiert, sondern gleichermaßen mit Scham und Schuld beladen. Martha (Vanessa Kirby, Mission Impossible 6 – Fallout) und Sean (Shia LaBeouf, Herz aus Stahl) müssen genau diese Erfahrung in Pieces of a Woman durchstehen. In einer fast 23-minütigen Plansequenz begleitet Regisseur Kornél Mundruczó (Underdog) das junge Paar von den ersten Wehen bis zum Körper der Neugeborenen, der vollständig blau angelaufen ist. Rauschhafte Emotionen, im Kern so klar wie eine Gebirgsquelle, werden mit einem Schlag von lähmender Trauer vergiftet. Während dieser Eröffnung, an diesem 17. September, der alles verändert, wirkt nichts choreographiert oder gespielt. Alles, was vor und hinter der Kamera bleibt, ist Ohnmacht.
Diese geradezu erschütternde Körperlichkeit, mit der Mundruczó seine durchweg exzellenten Hauptdarsteller in die Leere schickt, wird Pieces of a Woman in den noch folgenden 90 Minuten nie wieder einholen. Wie auch? Es gelingt dem Film dennoch immer wieder sehr akkurat und einnehmend, aufzeigen, wie es sein muss, wenn eine augenscheinlich unverwüstliche Beziehung bis ins Mark von einer Tragödie bestimmt wird. Dabei vollbringt es Mundruczó vor allem dann, eine besonders subkutane Wirkung zu entfesseln, die nicht unweigerlich an den großartigen Manchester by the Sea mit Casey Affleck erinnert, wenn er seinen Protagonisten das Wort verbietet und ihr Scheitern, halbwegs kompatibel miteinander zu agieren, in den Fokus setzt. Beachtlich ist da beispielsweise jener Moment, in dem Sean sich bemüht, Martha zum Geschlechtsverkehr zu bewegen. Eine Mischung aus Übergriff und Hilflosigkeit entfacht – und am Ende ist da wieder diese Ohnmacht.
Was Pieces of a Woman zu Anfang noch an ungefilterter Intensität verspricht, tauscht er zusehends mit dem Einbau überzogener Klischees, müder Metaphern (Brücke, Apfelkerne - auweia), einem konsequent am Geschehen vorbeidudelnden Score seitens Howard Shore und einem grausamen Oscarbait-Monolog von Ellen Burstyn (Requiem for a Dream) ein, die als (offensichtlich viel zu alte Mutter) von Martha ihrer Tochter noch einmal Tränen-geschwängert mit auf dem Weg geben möchte, wie wichtig es ist, nicht aufzugeben. Um ihre Botschaft begreiflich zu machen, forciert sie einen fast schon irritierend fehlgeleiteten Vergleich, der den Holocaust mit dem Verlust der Tochter in Relation setzt. Auf die Spitze treibt es Pieces of Woman dann in der letzten Szene, wenn der erbauliche, Trost-spendende Ansatz, der unter all dem Leid, den seelischen Wunden, den Qualen glimmt, schließlich in einer fast schon parodistisch anmutenden Erlösungssequenz endet.
Das Problem dabei ist nicht etwa, dass Pieces of a Woman den Glauben an die Hoffnung bewahrt. Es ist vielmehr die verkürzende Art und Weise, wie Martha hier in Richtung Katharsis geschubst wird – und welch dröge Bilder eisiger Wassermassen Bostons immer wieder auf den emotionalen Gefrierzustand der Akteure verweisen. Dabei hätte Pieces of a Woman gar hervorragend als Kammerspiel über zwei Menschen funktionieren können, die sich gegenseitig verletzen müssen, um nicht gänzlich abzustumpfen. Stattdessen aber vergreifen sich Kornél Mundruczó und seine Partnerin wie Drehbuchautorin Kata Wéber, die mit dem Film ein ganz privates Trauma aufbereiten, an überbordenden Allgemeinplätzen und rauben Pieces of a Woman die durchdringende Intimität, mit der die ersten 23 Minuten den Alptraum lebendig werden lässt. Dank der formidablen Darsteller aber darf man einen Blick riskieren. In den Augen von Shia LaBeouf und Vanessa Kirby lässt sich all das entdecken, was benötigt wird, um den Zuschauer zu erreichen.
Fazit
Nicht nur die ersten 23 Minuten werden sich in das Gedächtnis der Zuschauer einbrennen, auch sind es die exzellenten Schauspielleistungen von Shia LaBeouf und Vanessa Kirby, die eine Sichtung von "Pieces of a Woman" rechtfertigen. Die körperliche Intimität, die zu Beginn bei all der Wucht immer subtil beobachtet bleibt, tauscht sich im weiteren Verlauf jedoch durch ein ungesundes Maß an Klischees, Allgemeinplätzen und Oscarbait-Einlagen aus. Hätten Kornél Mundruczó und Kata Wéber sich konsequenter darauf konzentriert, leisere Töne anzuschlagen, anstatt müdeste Metaphern und einen alles zukleisernden Score zu bemühen, wäre "Pieces of a Woman" eine klare Empfehlung und keine handfeste Enttäuschung, die letztlich allzu sehr daran erinnert, wie grandios "Manchester by the Sea" doch war.
Autor: Pascal Reis