Inhalt
In Hitchcocks Spionagethriller, der auf zwei Kurzgeschichten von William Somerset Maugham basiert, geht es um einen britischen Agenten im Ersten Weltkrieg, der einen gegenerischen Spion in der Schweiz zur Strecke bringen soll.
Kritik
-„Sie lieben ihr Vaterland?“
-„Ich bin dafür gestorben.“
-„Wissen Sie warum?“
-„Ich hoffe, dass Sie es mir sagen können.“
Mit einer fingierten Beerdigung beginnt Hitchcock’s Agentenpoker, der seinen ersten ironischen Mini-Gag dadurch evoziert, dass der einarmige Trauerredner, nachdem er die Gäste aus dem Saal geschoben und die Tür verrammelt hat, sich offenkundig unbeobachtet-entspannt eine Kippe an einer der Kerzen anzündet und anschließend den nun als leeres Requisit enttarnten Sarg mit dem einzig verbliebenen Arm locker aufrecht stellt. Wir schreiben das Jahr 1916 und der Erste Weltkrieg ist im vollen Gange. Deshalb wird der eigentlich gerade von der Front zurückgekehrte Soldat Brodie (John Gielgud, In 80 Tagen um die Welt) von seiner eigenen Beisetzung überrumpelt und postwendend für den Geheimdienst ihrer Majestät verpflichtet. Um eine Kooperation zwischen den Deutschen und den Arabern zu verhindern, muss ein deutscher Agent möglichst schnell identifiziert und eliminiert werden. Gemeinsam mit dem etwas schrägen Hitman „The General“ (nach Der Mann, der zuviel wusste in seinem zweiten Hitchcock-Auftritt: Peter Lorre) wird er in die Schweiz geschickt, um dort wiederum mit einem weiteren Partner eine entsprechende Tarnung aufrecht zu erhalten. Dieser entpuppt sich als eine bildhübsche Frau (Madeleine Carroll, Die 39 Stufen), die die Rolle seiner Gemahlin annimmt.
Geheimagent ist einer dieser Hitchcock-Filme – vornehmlich in seiner Pre-Hollywood-Ära anzutreffen – die sich weniger für die Geschichte per se interessieren bzw. sie vielmehr als Geschmacksträger nebensächlich irgendwie verwenden, um der Freude an der Inszenierung einen Spielplatz anzubieten. Was nicht heißen soll, dass die Handlung uninteressant wäre, ganz im Gegenteil. Nur Hitchcock benötigt sie kaum und schenkt ihr nicht mehr Aufmerksamkeit als zwingend benötigt. So experimentiert er beinah mit den verschiedenen Genre-Substanzen. In der ersten Hälfte noch sehr stark der Screwball-Comedy angelehnt wird erst später der Plot in Richtung Spannung zentriert, dann dafür aber mit einer überraschend steil ansteigenden Kurve. Übergreifend liegt der Fokus auf der Art und Weise der handwerklichen, kreativen Umsetzung. Mag der Film in offensichtlich eher nebensächlich oder unbedacht behandelten Details negativ aufstoßen (Peter Lorre’s überdreht-lüsterne Sidekick-Figur ist nicht nur latent sexistisch und noch viel mehr rassistisch), findet er immer wieder äußerst gelungene Ideen und Sequenzen (der tote Orgelspieler; der zufällig beim Roulette gesetzte Knopf; der Mord in den Bergen, parallel zu der Montage im Observatorium wie dem Hotelzimmer, in dem ein Hund das Ableben seines Herrchens zu wittern scheint), die ihn künstlerisch auffällig und engagiert mit Leben erfüllen. So wird auch das Setting ausdrücklich nicht „verschwendet“, sondern mit eingebunden (Geheimbotschaften in Schokoladenpapier), eine der goldenen Faustregeln des Meisters.
Alles zusammengehalten von der für Hitchcock typischen, enorm straffen Inszenierung, die sich eben nicht unnötig mit Nebensächlichkeiten aufhält, ohne dass es gehetzt oder schlampig wirkt. Fettreduziert, schlank…eben das genaue Gegenteil zu seinem Schöpfer. Im Gegensatz zum wahren Leben wusste Hitch genau, was für seinen Film wichtig – gar unverzichtbar – ist und was niemand braucht, obwohl es viele trotzdem immer wieder verwendeten. Weil sie es nicht besser wussten. Hitchcock zeichnete sich selbst bei seinen noch ausbaufähigen Arbeiten immer als ungemein intelligenter, instinktiver und effektiver Regisseur ab, und aus der Perspektive ist Geheimagent fast ein Musterbeispiel. Das Skript gewinnt trotz eines generellen Unterhaltungswertes keine Preise, die Darsteller sind eher unauffällig bis zu überdreht (Lorre), aber in diesem Rhythmus, gekoppelt an so viele kleine, aber wichtige Einfälle macht der Film ziemlich viel Spaß. Inklusive der üblichen Lieblings-Motive seines Taktgebers wie dem unschuldig, falschen Mann oder dem Zug-Fetisch, was die Sache so heimisch gestaltet.
Fazit
„Geheimagent“ ist wie viele Hitchcock-Filme vor den USA noch das Produkt eines Visionärs, der A) sich noch zu wenig zutraute und B) nicht die Mittel hatte, seine Ideen und Wünsche exakt umzusetzen. Auch bezogen auf die Drehbuchauswahl. Aber meistens verdammt viel daraus machte. In einzelnen Momenten, Gedankengängen ist auch das ein Spiegelbild des späteren Genies. Eine seiner fortschrittlichen Fingerübungen, die sich auch heute noch sehr entspannt und mehr als nur unterhaltsam ansehen lassen.
Autor: Jacko Kunze