Es braucht nur wenige Sekunden, da erklärt sich der Titel von Fabian Stumms zweitem Spielfilm Sad Jokes von ganz allein. In dessen Eingangsminuten schneidet Stumm eine Vielzahl von Menschen dicht aneinander, die, eine/r nach dem/der anderen, ihre liebsten Witze mit düsterer Pointe zum Besten geben. Nur später erfahren wir auf quasi-beiläufige Weise, dass wir uns am Set zu einem der Filmprojekte Josephs befinden. Joseph, gespielt von Regisseur Fabian Stumm selbst, befindet sich wie dieser in einer merkwürdigen Phase nach dem ersten großen Erfolg als Filmemacher. Für Stumm war dieser Erfolg sein erst im Vorjahr erschienenes Debüt Knochen und Namen, der es ohne Filmförderung — finanziert durch Eigenmittel und Rückstellungen — in die mittlerweile gestrichene Sektion „Perspektive Deutsches Kino“ der Berlinale schaffte und dort den Heiner Carow Preis gewann. Sein auf dem Filmfest München vorgestellter und mit dem Regiepreis ausgezeichneter Nachfolger führt in vielerlei Hinsicht das fort, was Stumms Dramedy aus dem Vorjahr so auszeichnete: eine episodische Erzählstruktur, die Zeit zerdehnende Plansequenzen und Figuren, die sich zögerlich darum bemühen, aus dem Sicherungsnetz der Introspektion auszubrechen, um sich ihren Gegenübern zu öffnen.
Ausgesprochen leise nahmen sich diese Szenen zumeist aus und uns, gerade in ihrer Unaufdringlichkeit, für sie ein. Diese Tonalität verschiebt Stumm nun bewusst, macht aus seinem Drama mit komödiantischen Elementen eine Komödie mit dramatischen Elementen. Oder sollten wir es einfach so halten, wie wir es einst in der Schule lernten: das Drama als Oberbegriff, der sowohl die Komödie als auch die Tragödie umfasst? So zumindest scheint es schließlich im Titel angelegt. Und so lapidar dieser daherkommt, so kunstvoll verschränkt Stumm sie ein ums andere Mal, mitunter verdichtet auf so wenig Raum, dass es beeindruckt. Einher geht das mit großem Vertrauen in die Szene als ganze, die bei Stumm allzu oft verschiedene Stadien durchläuft, und der immer das Potenzial innewohnt, sich alsbald in ihr Gegenteil zu verkehren.
Manchmal irritiert das, weil die sketchartigen Szenen ein wenig zu sehr am Reißbrett entworfen scheinen. Doch als sei sich Stumm dessen bewusst, lässt er diese einfach weiterlaufen, bis die überdrehte Situation den Bogen der Pointe überspannt und sich mit den realen Konsequenzen arrangieren muss. Schlicht, weil der Schnitt nicht einsetzt. In anderen Filmen etwa würde jene Szene, in der Joseph sich die Hand in einem Snackautomaten einklemmt, allem voran genervtes Augenverdrehen hervorrufen. Der Minimalismus, in dem dies eingefangen ist, ist hier weniger Bug denn Feature und beweist auf spielerische Weise, wie formale Beschränkung oft erst Kreativität ermöglicht. Auf den ersten Blick scheint das Konzept leicht durchschau- und imitierbar, und doch wird man Schwierigkeiten haben, eine ähnliche Vision im deutschen Gegenwartskino zu finden.
Die formale Fluidität des Stumm’schen Kinos spiegelt sich überdies in den gesprochenen Sprachen wider. Ohne, dass es hier weiterer Kommentare bedürfte, wird hier zwischen Deutsch, Englisch, Italienisch und gar Schwedisch changiert. Letzteres kommt auf besondere Weise in einer Szene zum Tragen, da sich Joseph näher mit seiner Kunstlehrerin Elin (Ulrica Flach) unterhält, die er zu einer künstlerischen Zusammenarbeit für seinen neuen Film überredet. Dessen Protagonist, so schwebt es Joseph vor, leidet an Automatonophobie, der Angst vor menschenähnlichen Figuren. Die Figur, die er Elin anfertigen lässt, repräsentiert sein eigenes übergroßes Konterfeit. Denn was gäbe es schließlich Verstörenderes als die Konfrontation mit dem eigenen, überdimensionierten Selbst?
Doch fernab dieser Kollaboration wird Elin in einer der späten Szenen des Filmes, der sich auf bedächtige Weise darum bemüht, die scheinbar festen Grenzen zwischen Haupt- und Nebenfiguren zu nivellieren, plötzlich zum Star des Filmes, als sie, den Geist Renée Jeanne Falconettis heraufbeschwörend, Joseph auf Schwedisch einen Monolog aus Dreyers La Passion de Jeanne d'Arc vorträgt. Durch einen fast unmerklichen Zoom werden wir kontinuierlich in die Szene gezogen, bis sich die Spannung schließlich auflöst und durch plötzliches Herauszoomen und Elins verschämtes Kichern wieder in ihren übergeordneten Kontext gesetzt wird. Ein jeder Moment, so legt Stumm es uns nah, hält das Potenzial bereit, zu etwas Erinnerungswürdigem, etwas Besonderem zu werden.
Im Wissen darüber, dass Fabian Stumm die Schwedin Ulrica Flach einst am Lee Strasberg Theatre & Film Institute in New York, sie aber seit dem gemeinsamen Studium vor etwa 20 Jahren nicht mehr über den Weg gelaufen war, fügt der Szene zusätzliche Komplexität hinzu, stellt die Figur der Elin doch die erste Kinorolle in der Karriere Flachs dar. Einmal mehr lassen sich bei Stumm die intratextuellen Konstellationen und extratextuellen Umstände kaum mehr auseinanderhalten. Sie zerfließen stattdessen in einer ständigen Suchbewegung nach einem Stück Wahrhaftigkeit, die sich uns, obgleich wir ihrer letztlich niemals habhaft werden, bisweilen im Witz, bisweilen aber auch in der Trauer andeutet.