Inhalt
Ein bürgerlicher Windhund gesteht, wie er vom Filmemacher zum Vierbeiner wurde: Weil er gerade keine Förderung bekommt, sieht Julian sich gezwungen, einen Job als Erntehelfer anzunehmen. Als er der jungen Kanadierin Camille weismacht, es handele sich dabei um die Recherche für einen kommunistischen Märchenfilm, in dem sie die Hauptrolle spielen soll, will sie ihn begleiten und Julian spinnt romantische Fantasien. So landen die beiden in der trügerischen Idylle einer ausbeuterischen Apfelplantage. Während Julian unter der körperlichen Arbeit leidet und sich vor den merkwürdigen Zimmergenossen in den Containerbaracken fürchtet, stürzt sich Camille enthusiastisch in die vermeintliche Recherche und freundet sich mit Hong und Sancho an, zwei wundergläubige Proletarier auf der Suche nach dem Glück.
Kritik
Jamei, diese südländischen Leutchen die, die sprechen aber auch immer putzig. Julian Radlmeier ist so einer. Der deutsch-französische Jungfilmemacher, dessen Abschlussfilm seines Studiums den seltsamen Titel Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes trägt. Radlmeier beendete mit dem Werk sein Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin. Das Werk lief auf verschiedenen Filmfestivals, unter anderem auf der Berlinale in der Rubrik „Perspektive Deutsches Kino“, und wurde von der kuratierten Streaming-Plattform Mubi als „Special Discovery“ gezeigt. Über Lorbeeren konnte Herr Radlmeier sich also durchaus schon freuen. Einem großen Publikum wird der Film bestimmt dennoch verwehrt bleiben. Wie seine Hauptfigur schon selbstentlarvend sagt: "In Deutschland hat [das Publikum] einfach nicht so Bock auf ästhetisch-politisch radikales Zeug.“
Julian Radlmeier, der Autor, Regisseur und Erzähler des Films moderiert seinen Film aus der Retrospektive. Später wird die Hauptfigur ein Hund werden und treu seinen Herrchen ergeben sein. Doch bis dahin liegt noch ein neunzigminütiger Weg vor ihm. Ein Weg, auf dem er als Mensch nicht so treu seinen Herrchen ergeben sein wird. Ein Mensch, der seinen verqueren Kopf irgendwie durchsetzen will, aber eigentlich ein richtiger Waschlappen ist. Er lügt, er stammelt, er hat keine Lust sich durchzusetzen. In einer Gruppe schwimmt er nicht mit der Mehrheit mit, sondern mit dem, der am lautesten redet. Nicht die Masse hat das Recht, sondern der stärkste. Radlmeier, die Figur, die kurz davor ist, Zeuge beim Aufbegehren der Arbeiter einer Apfelplantage zu werden. Er unterstützt diese antikapitalistische und sozialistische Aktion - zumindest so lange bis der Muckiman der Gruppe seinen Unmut kundtut. Der Stärkste hat Recht. Der Angsthase erliegt damit den Prinzipien des Sozialdarwinismus. Der Angsthase erliegt damit den Wurzeln des Faschismus.
Der junge Filmemacher bezieht dabei trocken die Nichtigkeit der kleinen und kümmerlichen Charaktere in seine Erzählung ein. Entweder sind Aussagen nichtig oder prophetisch, das Schicksal habe zu entscheiden. Er selbst aber bleibt in seinen Aussagen relativ immun gegen die im Titel gegebene Selbstkritik. Er ist ein Poser, ein Spanner und eine traurige Gestalt. Er setzt sich als Voyeur vor seine Uni, um Frauen hinterherzulaufen. Wie ein glänzendes Kunstwerk setzt er sich hin, nur um dann auf der Flucht mit Müllmännern zu kollidieren. Ihm ist es unangenehm, wenn andere viel über ihn wissen. Er spioniert aber alle aus, ohne je zum Punkt, dem wirklichen Kontakt zu kommen. Und selbst wenn er es doch schafft, dann lügt er. Das ist sicherlich teils überspitzt in der selbstironischen Darstellung (zum Beispiel wenn er als Sozialhilfeempfänger von einem Treffen mit seinem Sachbearbeiter erzählt und vor dem riesigen Hauptgebäude des BND sitzt), aber bestimmt auch autobiographisch erzählt. Diese selbstbewusste Eigenironie ist mitunter die größte Stärke des Films.
Denn während er stets versucht in seiner Groteske zu bleiben - seien es seltsame Situationen, völlig bescheuerte Figuren (die Filmstudenten und -dozenten sind der reinste Sauhaufen) oder liebenswert lustige Gesichter - kann Radlmeier seinen Film nicht frei von Rucklern, Missverständnissen und Stolperfallen halten. Die an Roy Andersson (Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach) erinnernden statischen Einstellungen trauen sich nicht an die Radikalität des Schweden heran und stehen teilweise seltsam deplatziert im Raum. Das kann die Nerven teilweise extrem strapazieren, da die staubtrockene Stilistik nicht durch tadelloses Timing und technische Perfektion wettgemacht wird. Hier gerät der Film immer wieder an den Rand seiner Möglichkeiten. Verkraftet man diese äußeren Qualitätsmängel des Films kann man Julian Radlmeier dennoch einige erstklassigen Ideen und ein unterm Strich gelungenes Filmdebüt gönnen. Er zeigt eine Gesellschaft, in der nie jemand zufrieden ist, in der eh nichts geändert werden kann und in der der in der Theorie so perfekte Kommunismus nur praktisch umgesetzt werden kann, solang einzelne Personen weiterhin ihre Vorteile genießen.
Fazit
Mit „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“ hat Regie-Debütant Julian Radlmeier einen Film abgeliefert, der stets mit schlauen Gedanken und angenehmen Witzeleien durchsetzt ist. Jedoch bleibt das Teil ein durch und durch seltsamer Streifen, der durch eine verstaubte Stilistik und gezwungen absurden Laiendarstellern auf den Zeiger gehen kann. Nicht alles was sich der Regisseur vorgenommen hat, ist hier aufgegangen, dennoch beschreibt er in einer teils wie geölt laufenden Parabel das Paradox der Menschheit Gleichheit zu wollen, solange man selbst am gleichsten ist. Wenn Radlmeier zukünftig noch mehr mit dem Herzen denkt, kann man noch Einiges von ihm erwarten.
Autor: Levin Günther