Inhalt
Nach der Romanvorlage von Richard Hughes. Die Thorntons, eine britische Familie, die in Jamaika lebt, wollen in ihre Heimat zurückkehren, da das Leben in der Karibik einen schlechten Einfluss auf die Kinder hat. Mit dem Schiff machen sie sich auf die Reise zurück nach England. Auf der Suche nach Kostbarkeiten durchkreuzen Kapitän Chavez und Zac die Meere und treffen auf das Schiff der Thorntons. Während des Angriffs schleichen sich die Kinder unbemerkt auf das Schiff der Piraten. Es dauert nicht lang, da entdecken die Piraten auch schon ihre blinden Passagiere. Doch während die übrige Piratencrew davon nicht begeistert ist, entscheidet Chavez, dass sie an Bord bleiben dürfen, bis sie einen sicheren Hafen anlaufen. Auf der langen Reise lernen sie sich besser kennen und Chavez entwickelt ein Faible für die Kinder. Besonders die 10jährge Emily hat es ihm angetan. Unbedarft ahmen die Kinder in ihren spielen die Piraten nach und entwickeln dabei mehr und mehr eine eigene Boshaftigkeit.
Kritik
Mit Filmen wie Ladykillers oder Dein Schicksal in meiner Hand gelangen Alexander Mackendrick in den 50er Jahren wahre Filmklassiker, trotzdem klang seine Karriere im Folgejahrzehnt bereits aus. Sturm über Jamaika sollte 1965 seine vorletzte Arbeit im Alter von gerade mal 53 Jahren werden. Das hier bediente Sub-Genre des Piratenfilms hatte den Zenit seiner Popularität zweifellos auch längst überschritten und diente wenn überhaupt nur noch für kostengünstige B-Movies. Im Mittelpunkt der Handlung steht allerdings nicht das Treiben der Seeräuber, vielmehr ist es die unfreiwillig hervorgerufenen Zwangsgemeinschaft zwischen ihnen und einer Handvoll Kindern, die sich als blinde Passagiere an Bord ihres Schiffes schleichen und welchen Effekt sie mit der Zeit aufeinander ausüben.
Der hier (nicht nur in der deutschen Übersetzung, auch im Original) titelgebende Sturm ist dabei ein klassischer Macguffin. Das karibische Unwetter ist lediglich der relativ beliebige Anstoß der Handlung und noch nicht einmal der wahre Grund dafür, warum eine britische Familie aus der besseren Gesellschaft beschließt, ihr Domizil auf Jamaika aufzugeben und zurück nach England zu reißen. Es ist die – aus der Sicht der Eltern – bevorstehende Verrohung ihrer Kinder, die sich nicht ihres Status entsprechend verhalten. Das Leben auf der Insel und der aufgeschlossenen Kontakt zu den „wilden“, heidnischen Eingebohrenden würde ihrer moralischen und gesellschaftlichen Entwicklung schaden. Gemeinsam mit zwei weiteren Kindern und deren Nanny sollen sie getrennt von den Eltern umgehend die Reise nach England antreten, was sich als schicksalhafte Fehlentscheidung herausstellt. Piraten, angeführt von ihrem Kapitän Chavez (Anthony Quinn, Das Lied der Straße) und seiner rechten Hand Zac (James Coburn, Die glorreichen Sieben) kapern das Schiff. In ihrer kindlichen Naivität schätzen die Heranwachsenden die Lage nicht realistisch ein, betrachten den Vorfall als gelungen, aufregende Abwechslung und verstecken sich auf dem Piratenkahn, wo sie erst entdeckt werden, als es kein Zurück mehr gibt.
Während ihrer gemeinschaftlichen Reise begreifen die Kleinen erst relativ spät bis gar nicht, in welch prekären und eigentlich auch sehr gefährlichen Situation sie sich befinden. Denn bis auf den sich langsam öffnenden und immer fürsorglicher, beschützender agierenden Kapitän haben sie nicht viele Fürsprecher an Bord, ganz im Gegenteil. Aus Furcht vor den Konsequenzen seitens der britischen Armee oder aus reinem Aberglaube heraus will der Rest die Crew die ungebetenen und störenden Gäste lieber jetzt als gleich wieder loswerden, was zu erheblichen Spannungen an Bord führt. Chavez bezieht mit der Zeit klar Stellung, seine Crew rückt immer weiter von ihm ab; Meuterei liegt in der Luft. Parallel hat die Situation aber auch Einfluss auf die Kinder, besonders die 10jährige Emily, die zunächst rein spielerisch das Verhalten ihrer Begleiter nachahmen, was schließlich zu bedenklichen Tendenzen wird. Kinder als Produkt ihrer sozialen Umgebung, etwas vor dem sie ihre überbehütenden Eltern mit der Reise eigentlich bewahren wollten. Nun sind sie mehr denn je fokussiert auf „unpassende Vorbilder“, können sich in diesem neuen, stark begrenzten Mikrokosmos dem auch nicht entziehen. Ein Wechselspiel zwischen positivem und negativem Einfluss, was in letzter Konsequenz zu unvorhergesehenen Ereignissen in fatalem Ausmaß führen soll.
Der zwischenmenschlich, sozial-psychologische Aspekt gepaart mit Comig-of-Age-Dramaturgie ist spannend, hebt Sturm über Jamaika tendenziell sichtlich vom reinen Piraten-Abenteuer ab. Die Mischung könnte aber deutlich mutiger, prägnanter herausgearbeitet werden. Der Wandel der Figuren ist nachvollziehbar, entbehrt jedoch tieferer Substanz, funktioniert in erster Linie über die guten Darsteller (Anthony Quinn konnte damals eh alles über seine reine Präsenz regeln, eine Naturgewalt) und relativ schlicht gezeichnete Mechanismen. Aber er funktioniert, das ist nicht selbstverständlich. Aufgrund der angerissenen Möglichkeiten und besonders der moralisch ambivalenten Pointe dürfte sich der Film gerne wesentlich mehr herausnehmen, ist dafür nicht nur zu zaghaft: Er ist zu harmlos. Wobei das immer noch reicht für eine nicht alltägliche, grundsätzlich interessant konzipierte Geschichte um Verantwortung, Integrität, Erwachsenwerden, Schuldbewusstsein und nicht zuletzt auch gesellschaftliche Normen, die wandlungsfähig und biegsam sind, wenn die Umstände nur Entsprechendes zulassen…oder zwingend vorgeben. Ein Stückweit ihre Verlogenheit dokumentiert.
Fazit
Sehr gut besetzte, in wunderschönen Aufnahmen unterhaltsam erzählte Kreuzung aus Abenteuerfilm, Charakter- und Gesellschaftsstudie, die ihrem potenziell gehobenen Anspruch allerdings nur bedingt gerecht wird. Das sind jedoch hausgemachte „Probleme“, allein das Anliegen ist schon aller Ehren wert. Und „Sturm über Jamaika“ scheitert maximal nur am eigenen Anspruch, nicht aber in grundsätzlichen Dingen. Alexander Mackendrick gelingt ein durchaus sehenswerter Genre-Beitrag mit individuellen Ansätzen, der es teilweise sogar gekonnt versteht zwischen unterschiedlichen Emotionen zu pendeln, nur im Feintuning noch etwas zu zurückhaltend wirkt. Was leider ein oft flächendeckendes Problem seines Entstehungszeitraumes war.
Autor: Jacko Kunze