Inhalt
Halim und Mina betreiben eine traditionelle Schneiderei in der Medina von Salé, einer der usrprünglichsten in Marokko.Um den Anforderungen der anspruchsvollen Kundschaft gerecht zu werden, heuern sie einen talentierten jungen Mann namens Youssef als Lehrling an.Mit der Zeit jedoch bemerkt Mina, wie sehr die Anwesenheit Youssefs ihren Mann berührt und er sich zu ihm hingezogen zu fühlen scheint…
Kritik
Mit gleicher Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt, wie der marokkanische Schneider seiner Arbeit nachgeht, stickt der neue Film von Maryam Touzani (Adam) das einfühlsame Porträt eines verborgenen Beziehungsgefüges. Wie bereits in ihrem Vorgängerwerk Adam, welches die tiefgehende Frauenfreundschaft zwischen einer jungen Schwangeren und einer traditionellen Bäckerin behandelte, steht auch in ihrem aktuellsten, wiederholt als Marokkos Oscar-Kandidat für den besten fremdsprachigen Film eingereichten Spielfilm ein enger, entbehrungsreicher Zusammenhalt im Vordergrund. Das Blau des Kaftans erzählt von versteckten Leben. (Aus-)Leben im stillen Kämmerlein, hinter allerhand Stoffresten, in einer heterosexuellen Ehe, ohne die das Leben des Protagonisten unmöglich wäre. Feinsinnig zeichnet die Regisseurin wenige, gut ausgearbeitete Figuren und deren wortarmes Miteinander in durch wiederkehrende räumliche wie gesellschaftliche Enge fassbar gemachten, eingeschränkten Lebensumständen.
Still nähern sich die Figuren an, setzen emotionale und sinnliche Nadelstiche in den Erzählstoff, ohne die Handlung mit aufgestauten Emotionen oder sentimentalen Überhöhungen zu strapazieren. Eine Flucht ist in ihrer Realität kaum möglich, und wenn, dann findet sie hinter geschlossenen Türen statt, hinter die selbst die behutsam geführte Kamera von Virginie Surdej (Kabul Kinderheim, Wolf and Sheep) nicht blicken darf. In subtilen Spannungsmomenten vergegenwärtigt sich der Zustand der Ungewissheit. Ein Gefühl, entgegen aller Augenscheinlichkeit ertappt werden zu können, das sich in alltägliche Situationen schleicht, ohne explizit ausformuliert zu werden. Ein bedachtes Spiel mit Vorahnungen und Erwartungen des Publikums an die Geschichte, wenn etwa des Nachts unheilvolles Hundegebell eine unverhoffte Polizeikontrolle ankündigt.
Worte benötigt es wenige, um die respektvollen und nahbaren Figurenbeziehungen auszukundschaften. Der mehrschichtigen Dreiecksbeziehung reicht die intime und ruhevolle Erzählung, unaufdringliche Bildsprache sowie die authentischen Performances von Lubna Azabal (Die Frau die singt - Incendies, Maria Magdalena), Saleh Bakri (Die Band von nebenan, Costa Brava Lebanon) und Newcomer Ayoub Missioui zur Eindringlichkeit. Leise zeichnen sich Begehren und Widerstand in der sensiblen Geschichte ab, die Vergangenes oft im Vagen lässt und geduldig Alltagsepisoden schildert. Die kleinen, intimen Bilder sind gründliche mitunter poetische Momentaufnahmen, die parallel das nahende Ende und den aufkeimenden Anfang einer Annäherung und eines Weltverständnisses illustrieren. Erreicht sind am Ende des mit knapp zwei Stunden spürbar langsam erzählten Films weder die Sehnsucht nach persönlicher Freiheit, noch ein Ende der gesellschaftlichen Unterwerfung, aber ein nachdenkliches wie nachhallendes Figurendrama.
Fazit
Ruhig und schauspielerisch wie inszenatorisch gewissenhaft gestickt ist „Das Blau des Kaftans“ intimes und in kleinen, jedoch wirkungs- und nuancenvollen Bildern erzähltes Schauspielkino.
Autor: Paul Seidel