Inhalt
Der US-Senator Ransom Stoddard (James Stewart) nimmt an der Beisetzung des Revolverhelden Tom Doniphon (John Wayne) teil. Die zwei hatten ein Geheimnis: wer hatte damals die Stadt eine kleine Pionierstadt von dem fiesen Desperado Liberty Valance befreit? In Rückblicken beginnt der John-Ford-Western die Geschichte der zwei Männer zu erzählen.
Kritik
Regielegende John Ford („Der schwarze Falke“) hat nicht nur das Westerngenre maßgeblich geprägt und seinerzeit umgekrempelt, er erkannte auch frühzeitig die Zeichen der Zeit, als es sich langsam zu Tode ritt. Das urtypischste aller amerikanischen Genres hatte sich abgenutzt, obwohl es 1962 durchaus noch funktionierte und sein Publikum erreichte. Einige Jahre später sollte der Erfolg der Italo-Western endgültig zu einem Umbruch und für eine kurzzeitige Reanimation sorgen, indem dessen Nihilismus und bittere Zynismus kopiert wurde. Mit „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“ zeigt Ford seine ganze Klasse, indem er auf den ersten Blick einen ganz klassischen Beitrag seiner Zunft inszeniert, dabei jedoch eine clevere, selbstkritische Reflektion nicht nur über den Western, sondern die amerikanische Geschichte allgemein abliefert, die bald schon erschreckend prophetische Qualitäten besitzt. Das, was Ford hier erzählt, zieht sich bis heute wie ein roter Faden durch die Historie des Land of the Free, ohne bisher gänzlich damit abgeschlossen zu haben. Das der Schurke hier auch noch Liberty heißt, ist schon bald Galgenhumor.
Der jungen Anwalt Ransom Stoddard (James Stewart, „Cocktail für eine Leiche“) kommt in das kleine Städtchen Shinbone und ist entsetzt, was in diesem Flecken des Landes vor sich geht. Ein Mann der Moderne, für den Recht und Gesetz klar in den Büchern definiert sind, muss zu seinem Erschrecken feststellen, dass hier die Uhren noch etwas anders ticken. Hier gilt noch das primitive Gesetz des Stärkeren, die Justiz wird „vertreten“ in Form einer fettleibigen, weinerlichen, bald schon zurückgebliebenen Witzfigur und wird noch ganz klein geschrieben, was kaum auffällt, denn Lesen und Schreiben gehört nicht zur Allgemeinbildung. Der Bandit Liberty Valance (Lee Marvin, „Das dreckige Dutzend“) kann praktisch schalten und walten wie es ihm beliebt, lediglich der raubeinige Tom Doniphon (John Wayne, „Alamo“) bietet ihm unerschrocken die Stirn. Das progressive, neue Amerika trifft auf die alte Welt einer eigentlich noch so jungen Nation, dessen verfassungsrechtlich-verankerte Grundgedanken noch lange nicht bis in die hintersten Winkel durchgedrungen sind. Wie ein Messias bringt Stoddard diese Botschaft in die kleine Gemeinde, trichtert ihren Bürgern ihre Macht und Wertigkeit in einer auf Gleichheit und Freiheit basierenden Demokratie ein, lehrt sie, diese zu nutzen und durchzusetzen, den Teufelskreis aus Unterdrückung und Gewalt zu durchbrechen, nur um am Ende sich schmerzhaft eingestehen zu müssen, dass zwischen Theorie und Praxis noch Welten liegen.
John Ford schildert nicht nur die Diskrepanz zwischen idealistischen Werten und rauer Realität, er deckt gleichzeitig das große Problem einer Nation auf, die sich bis heute in einem Widerspruch befindet. Man predigt die Freiheit, den Frieden, Gleichheit und unbegrenzte Möglichkeiten, ohne wirklich in der Lage zu sein, dies überhaupt umsetzen zu können. Oder eher, man scheitert an der eigenen Doppelmoral. So muss der desillusionierte Anwalt schlussendlich selbst zum Colt greifen. Nicht – und das ist der Unterschied zu so vielen klassischen Western – als einzig wahren, männlichen Akt der Gerechtigkeit, sondern geboren aus purer Verzweiflung, als Kapitulation vor der rohen, sinnlosen Gewalt. Das Eine kann nicht entstehen, wenn das Andere nicht vorher ausgerottet wurde, mit den eigenen Waffen, so paradox das ist. Ein Eingeständnis vor der Sinnlosigkeit der uralten Gesetze der Prärie, wo Konflikte nicht mit Worten, sondern mit Blei gelöst werden. Selbstaufgabe als letzte Konsequenz, welche ausgerechnet nicht als solche gewertet wird. Plötzlich ist er ein Held, schafft das, was er auf dem angestrebten, liberalen Weg so wohl nicht (so schnell) erreicht hätte und muss zu seinem – erneuten – Schrecken feststellen, dass Politik auch nur ein Affenzirkus ist, nur ohne Schießeisen. Ein großer, garstiger Witz, den Ford so elegant und lange unscheinbar in klassische Formen verpackt, dass seine Schlussfolgerung einem Geniestreich gleichkommt.
Fazit
Dreißig Jahre bevor „Erbarmungslos“ als großer Abgesang auf den US-Western weltweit gefeiert wurde, hat „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“ dieses Lied eigentlich schon gespielt. Auf seine ganz eigene Weise. Ein kluges, vielschichtiges Werk, das logischerweise nicht respektlos mit seiner Vorgängern umgeht – waren John Ford und John Wayne doch ihre Idole und Mitbegründer -, ihnen Respekt zollt, dabei sie durchaus kritisch hinterfragt, auf sehr subtile Weise. Für manche wohl nur ein guter Western, für andere bestimmt ein überlegtes Meisterwerk, der seine wahre Intention nur versteckt preisgibt.
Autor: Jacko Kunze