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Quelle: themoviedb.org

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Durch den Kaninchenbau gefallen, erzählt The Sweet East die pikareske Reise der Highschool Schülerin Lilian durch die Städte und Wälder der US-amerikanischen Ostküste. Auf einer Klassenfahrt nach Washington, D.C., bekommt sie einen ersten Eindruck von der weiten und absurden Realität der zersplitterten US-amerikanischen Gesellschaft.

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Quelle: themoviedb.org

Kritik

Werte*r Leser*in, die Sie zunächst diese Website und in der Folge diese Kritik frequentieren, geben Sie es ruhig zu: Auch Sie hatten, vielleicht im Rahmen einer durchzechten Nacht, schon einmal die Idee, einen Film zu machen. Und warum auch nicht: Ideen haben Sie schließlich zur Genüge, auch Filme haben Sie mehr gesehen, als dass sie nur einen Bruchteil der Titel spontan benennen könnten; Sie haben das Medium eingehend in den einschlägigen Kinosälen Ihrer Wahlheimat und/oder auf dem heimischen Sofa studiert und sind zur Expertin bzw. zum Experten gereift, die bzw. der mit den feinen Unterschieden des Kinos vertraut ist: die bzw. der Edgar Wright von Edgar Reitz zu unterscheiden weiß und die oder der sich damit zu brüsten weiß, welcher der Coen-Brüder mehr Regie-Credits angehäuft hat. Der Weg zum eigenen Film scheint geebnet, kaum mehr als ein Katzensprung entfernt. Zurück also zur durchzechten Nacht: Stellen Sie sich vor, Ihrem besten Freund — nennen wir ihn Nick — (natürlich ist Nick männlich; Ihr Bro, sozusagen) schießt beim Stammtischgespräch ein Gedankenblitz in den Sinn, der ihm so verrückt, aber so genial erscheint; so messerscharf analytisch, doch zugleich bar jeder Prätention; dezidiert politisch integer, ohne den anarchischen Gestus abzulegen. Jahre zuvor hatte sich Nick Ihnen auf einer Party als Filmkritiker vorgestellt (Sind Sie sich eigentlich auch schon einmal nüchtern begegnet?), auf der er nichts dem Zufall überließ und Ihnen eröffnete, schon allzu lange auf diesem Drehbuch zu sitzen.

Was in jener Nacht bloße Andeutung blieb, sprudelt nun unaufhaltsam aus ihm heraus. Gestenreich ausholend zeichnet er Ihnen das Bild einer aus den Fugen geratenen US-amerikanischen Gesellschaft und listet mit großer Verve zahlreiche Verschwörungen und Symptome dieses postfaktischen Zeitalters auf, die durch das Internet kursieren, von Kinderpornographie in geheimen Kellerverliesen der Reichen und Mächtigen und einem erstarkten Maskulinismus. Dann—und es wird überdeutlich, dass es jene Pointe ist, die er von Beginn an anvisierte—lässt er den entscheidenden Satz fallen: Die Realität habe jede Fiktion längst eingeholt. Wolle man die Leute im Jahre 2023 noch herausfordern, so müsse man einfach noch einen draufsetzen.

Es ist nicht überliefert, ob sich die Ereignisse auf exakt diese Weise zugetragen haben, als sich der gefragte Wahl-New-Yorker DP Sean Price Williams (besonders bekannt für seine Kameraarbeit für die Safdies (Good Time, Heaven Knows What) oder Alex Ross Perry (Her Smell)) mit seinem Buddy Nick Pinkerton, seines Zeichens Filmkritiker, zusammensetzte, um an seinem Spielfilmdebüt zu arbeiten. Und doch gäbe es größere Herausforderungen als jene, sich vorzustellen, dass die Genesis dieses 104-minütigen Falles in den Kaninchenbau — die zunehmend absurder werdende Odyssee der High-School-Schülerin Lilian (Talia Ryder (Master; Never Rarely Sometimes Always)) — sich zumindest nicht unähnlich der obigen Schilderung zutrug. In jenen Vereinigten Staaten, die Williams und Pinkerton uns präsentieren, entpuppt sich noch jede im Internet kursierende Verschwörung als der Realität entsprungen; eine Grundhaltung, an der das Gespann von Beginn an keinen Zweifel lässt, als Lilian während ihres Klassenausflugs nach DC, mit dem der Film einsetzt, in einer Karaoke-Bar Zeugin einer Schießerei wird. Fest davon überzeugt, dass in den Kellergewölben der Bar Kinder zur Pornographie gefangen gehalten werden, fordert ein mit Schrotflinte bewaffneter Attentäter den Barkeeper immer wieder dazu auf, ihm den Weg zu jenen Kellerräumen freizulegen, sehr zur Belustigung des Publikums und zur scheinbaren Irritation des Barkeepers. Doch als Lilian auf die Toilette flieht, um dem Terror zu entgehen, eröffnet sich ihr hinter dem Badezimmerspiegel tatsächlich der Gang in einen unterirdischen, von Kinderspielzeug gesäumten Tunnel.  

Am Rande der Weltpremiere in der „Quinzaine des Cinéastes“-Sektion des Cannes-Film-Festivals fasste Talia Ryder ihre Rolle als Lilian indes so zusammen: Als Frau lerne man früh, dass die Männer um einen herum immer etwas von einem wollen. Und wenn sich an diesem Paradigma in allzu ferner Zukunft schon nichts ändern lasse, so könne aus diesem Umstand doch immerhin Kapital geschlagen, dieser für die eigenen Zwecke genutzt werden. Und tatsächlich oszilliert das episodische, elliptische Narrativ über die gesamte Laufzeit zwischen diesen Polen — Lilians Abhängigkeit von den Männern (unter ihnen Simon Rex (Red Rocket) als akademisch geschulter, gut vernetzter Faschist mit vermeintlich guten Absichten), die sich ihr einer nach dem anderen anzunehmen versuchen, sowie ihrer Fähigkeit, sich durch unverhofft-glückliche Fügungen (die ihr bald schon zu einer großen Schauspielkarriere verhelfen) sowie die eigene Straßenschläue wieder aus jenen Situationen zu befreien.

Gefilmt ist das alles einnehmend schön auf 16 Millimeter-Film, der all dem urbanen Ostküstenschmutz und der sich aus den tiefsten Niederungen der digital vernetzten Welt speisenden Skurrilität bisweilen eine fast kontraintuitive Textur verleiht. Nur wenige Momente genügen, um zu erkennen, dass Williams‘ Regie durchweg durch die Augen eines Kameramanns gedacht und organisiert wird, was sich in einer unheimlichen Dynamik widerspiegelt. Durch die permanente Überbeleuchtung legt sich indes ein traumgleicher Schleier über die Szenerie, der die Geschehnisse ‚ins rechte Licht‘ rückt. Und wenngleich sich Williams‘ Ansatz zunächst äußerst vielversprechend ausnimmt, nutzt sich dieser mit zunehmender Laufzeit immer mehr ab. Zu verliebt in den eigenen Wahnsinn, versucht sich Williams früh daran, jenem Credo gerechtzuwerden, das keineswegs zufällig in den ersten Minuten des Filmes platziert wurde: „Come on, it’s just a movie.“ The Sweet East ist ein Film, der selten über die offen vor sich hergetragene Devise hinwegkommt, dass im Grunde doch alles egal sei. Demonstrativ anarchisch, erschöpft sich Williams‘ Ansatz schon bald nach dem vielversprechenden Einstieg, als wir Talia Ryder — musikalisch den Vorspann formend — in der vermutlich einzigen ikonischen Szene des Filmes ihrem Spiegelbild entgegensingend beobachten. So filmisch wie in diesem Moment, da Williams die Form und Konventionen des Mediums für seine eigene Vision zu nutzen weiß, kommt The Sweet East in der Folge nicht mehr daher.

Vielfach fiel in Gesprächen am Rande der Premiere in Cannes der Titel der obskuren Montage-Komödie Hello Dankness, die im Februar 2023 bei der Berlinale gezeigt wurde, und die Parallelen zu The Sweet East sind offenkundig: Sowohl im vom australischen Künstler*innen-Duo Soda Jerk inszenierten Hello Dankness als auch Williams und Pinkerton geht es darum, dem Wahnsinn der Gegenwart, der online noch ins Vielfache potenziert wird, eine Gegenwelt des Wahnsinns entgegenzustellen. Doch während bei Soda Jerk die nichtigen Untiefen des Internets auf das Kinoformat überdehnt werden und das Publikum durch totale Affirmation zur Reflexion herausfordert, sind die Fronten in The Sweet East klar beschrieben und zugeordnet. So sehr wird sich hier in der eigenen proklamierten Verrücktheit gesuhlt, dass das Denken nicht weiter aktiviert wird, als es die nächste Pointe voraussetzt. „It’s all a joke to you, isn’t it“,  heißt es an einer späteren Stelle in The Sweet East, und obzwar nicht unterschlagen werden soll, dass diese Jokes sich bisweilen durchaus in Gelächter entladen, so lässt sich des Eindrucks schwerlich erwehren, als drücke sich darin auch der Anspruch Williams‘ aus.

Fazit

Als eines der spannendsten Debüts des Jahres angetreten, zeigt sich Sean Price Williams‘ schön anzusehender Debütfilm The Sweet East auf so enervierende Weise berauscht von der eigenen Absurdität, dass dieser Effekt nicht anders kann als sich beim Publikum zunehmend abzunutzen. 

Kritik: Patrick Fey

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