Inhalt
Paris in den 1960er Jahren: Der Kalte Krieg befindet sich auf seinem Höhepunkt und die Sowjetunion schickt ihre beste Tanzkompanie in den Westen, um ihre künstlerische Stärke zu demonstrieren. Das Leningrader Kirow-Ballett begeistert die Pariser Zuschauer, aber ein Mann sorgt für die Sensation: der virtuose junge Tänzer Rudolf Nurejew. Attraktiv, rebellisch und neugierig, lässt er sich vom kulturellen Leben der Stadt mitreißen. Begleitet von der schönen Chilenin Clara Saint (Adèle Exarchopoulos) streift er durch die Museen und Jazz-Clubs der Stadt, sehr zum Missfallen der KGB-Spione, die ihm folgen. Doch Nureyev genießt den Geschmack der Freiheit und beschließt in Frankreich politisches Asyl zu beantragen. Ein höchst riskantes Katz- und Mausspiel mit dem sowjetischen Geheimdienst beginnt.
Kritik
Filme übers Ballett sind eher rar gesät im modernen Kino. Und wenn überhaupt, dann dient der kunstvolle Ausdruckstanz meist nur als filmisches Aufhängsel für eine Geschichte, die erzählt werden will. Die wenigen bekannten Beispiele, wie Billy Elliot – I Will Dance oder aber natürlich Darren Aronofskys Black Swan, sind wohl kaum in erster Linie Filme über den Ballettsport an sich, sondern dienen vielmehr als erzählerisches Sinnbild für die Befreiung eines tanzwütigen Jungen aus ärmlichen Verhältnissen oder aber den kometenhaften Karriereaufstieg und (Ver-)fall in den Wahnsinn. Auch Nurejew – The White Crow reiht sich dort ein und ist bis zu einem gewissen Punkt sogar die Verschmelzung beider Sachverhalte. Rudolf Chametowitsch Nurejew wurde unter dem donnernden Rattern eines fahrenden Zuges geboren und zählt bis heute zu den größten Balletttänzern des 21. Jahrhunderts. Der Film von Ralph Fiennes, mit dem der britische Charaktermime nun seine inzwischen dritte Regiearbeit abliefert, in der er sich zudem auch selbst verewigt hat – er spielt den Ballettlehrer Alexander Iwanowitsch Puschkin – ist aber mitnichten bloß ein typisches Biopic, das sich wie aus dem Lehrbuch und nach Maß an den Lebensstationen seiner Hauptfigur abarbeitet.
Nurejew - The White Crow ist zwar auch nicht gänzlich frei von derlei Konventionen, doch indem Fiennes sich eine ganz bestimmte Phase in Nurejews Leben herauspickt und sie auf die Leinwand bannt, gelingt ihm vor allem auch ein Film über die Bedeutung von Freiheit und den Drang nach Individualität. Anstatt den kompletten Lebenslauf Nurejews filmisch aufzubereiten, konzentriert sich das Drehbuch von David Hare (Der Vorleser) auf ein einschneidendes Erlebnis, dass sich mitten im Kalten Krieg ereignete und einen entscheidenden Wendepunkt im Leben des aufstrebenden Tänzers darstellt. Dabei handelt es sich um das Jahr 1961, als das berühmte Kirow-Ballett aus Sankt Petersburg in der französischen Hauptstadt Paris gastierte, mit dem jungen Nurejew als Startänzer und unter den wachsamen Augen von KGB-Agenten der Sowjetunion. Die sehen es gar nicht gerne, wenn Nurejew und seine Kollegen nach den Vorstellungen noch die kulturelle Ader der Metropole erkunden oder aber etwas zu sehr mit den Franzosen und deren ausgelassener Lebensart kokettieren, die natürlich keineswegs vereinbar ist mit den sozialistischen Überzeugungen.
Schon früh im Film wird klar, dass Rudolf Nurejew damit nicht viel am Hut hat, sich wenig um die Politik schert und auch schon mal Grenzen überschreitet. Ihm geht es lediglich ums Tanzen, um die Leidenschaft. Wodurch genau diese entfacht wird, das verschweigt der Film trotz einigen Rückblenden in Nurejews elende Kindheit in einem sibirischen Dorf, die aber eher skizziert als wirklich ergründet wird. Über seine zwei Stunden Laufzeit springt Nurejew - The White Crow zudem so munter zwischen zwei weiteren Zeitebenen hin und her, dass diese im Breitbildformat und mit Graufilter gefilmten Sequenzen sich nicht so recht eingliedern wollen in den Erzählfluss und mitunter auch beinahe schon wahllos eingestreut wirken.
Parallel zu dem Aufenthalt in Paris erzählt der Film nämlich auch von Nurejews Tänzerausbildung und dem Verhältnis zu seinem Mentor Puschkin. Anders als seine Eigenbesetzung und das Image als Hollywood-Bösewicht es erwarten lassen würden, gibt Ralph Fiennes diesen aber nicht als den Stereotyp des gestrengen Tanzlehrers, sondern überrascht mit einer eleganten, zurückhaltenden Performance, im Originalton zudem verfeinert durch beeindruckende Russischkenntnisse. Obwohl Nurejew - The White Crow aber weder ein wirklicher Film über Ballett ist und sich auch nicht aufhält mit dem üblichen Fingerzeigen auf knallharten Drill oder Disziplin, bedeutet das nicht, dass der Film das Tanzen an sich vernachlässigen würde. Gerade in diesen Sequenzen, die zudem hervorragend choreografiert sind, von Komponist Ilan Eshkeri arrangiert und von Kameramann Mike Eley ausgesprochen stilvoll eingefangen werden, entfaltet Nurejew - The White Crow eine bestechende Anmut. Dabei ist Hauptdarsteller Oleg Ivenko, der als hauptberuflicher Balletttänzer hier seine erste Hauptrolle spielt, deutlich spürbar mehr in seinem Element als in den Momenten, die ihm tatsächlich schauspielerisches Können abverlangen.
Eine gewisse Präsenz entwickelt er dennoch und auch wenn seine bisweilen stoische Darbietung vielen einen wirklichen Zugang zu ihm erschweren dürfte, so harmoniert diese doch mit der trotzigen Eigenwilligkeit seiner Figur, welche der Film sogar recht ambivalent zeichnet. Von Anfang an ist Nurejew jemand, der genau weiß, was er will und sich dabei weder von KGB-Restriktionen, noch politischem Geschacher um seine Person großartig beeindrucken lässt. Geerdet wird sein mitunter in Arroganz ausschlagendes Selbstbewusstsein durch Adèle Exarchopolous (Blau ist eine warme Farbe) und erfreulicherweise begeht der Film hier auch eben nicht den Fehler, ihre Clara Saint zum Love Interest umzudeuten. Auch wenn sie es ist, die Rudolf Nurejew letztlich den finalen Stoß in Richtung Freiheit versetzt, so bleibt ihr schwieriges Verhältnis doch rein freundschaftlich. Während aber viel Zeit darauf verwendet wird, die Dreiecksbeziehung zwischen Puschkin, seiner Frau und Nurejew zu zeigen, bleibt dessen eigentliche Homosexualität allenfalls angedeutet. Auch erzählt Fiennes seinen Film abseits der zum Biopic-Klischee verkommenen Muster von Aufstieg und Fall, obgleich dieser auch vor einem Rudolf Nurejew in Form einer Aids-Erkrankung und des vorzeitigen Todes mit 54 Jahren keineswegs Halt machte.
Aber auch wenn Ralph Fiennes nur eine Nebenrolle verkörpert, so ist es doch seine Figur, die eine der großen Schlüsselszenen des Films liefert, als er seinen Schützling danach fragt, worin genau der Sinn des Tanzens bestehe. Beide begreifen diese Kunst als Realitätsflucht, im Grunde als den puren Eskapismus, das Ausbrechen aus dem Alltag. Wenn Nurejew - The White Crow nach fast zwei Stunden auf einer Note endet, die durchaus auch aus einem Thriller aus dem Kalten Krieg stammen könnte, wird die Flucht in eine andere Welt nicht nur zum Tanz in die Freiheit, sondern auch zu einer Ode an das Vertreten westlicher Werte. Ein Schlusspunkt, den der Film zwar schon nach einigen Längen durchaus hätte erreichen können, aber dennoch klar verdeutlicht, um was es Ralph Fiennes mit seinem Werk wirklich geht.
Fazit
"Nurejew - The White Crow" ist weder Biopic nach Maß, noch traumtänzerische Verklärung. Vielmehr handelt Ralph Fiennes' dritte Regiearbeit von der Befreiung eines aufrechten Individuums aus der erdrückenden Konformität. Ein widerspenstiger Freigeist, der sich nicht einsperren lässt, sondern sich den Weg in die Freiheit buchstäblich ertanzt. Sicherlich kein einfaches, aber auf seine Art doch bemerkenswertes Werk.
Autor: Dominik König