Dem Gefühl, mit der richtigen Person zur falschen Zeit zu sein, wohnt eine besondere Melancholie inne. Heimlich Liebende, die realisieren, dass sie zu einer anderen Zeit ohne Scham lieben dürften und unglücklich Verliebte, die erkennen, dass es einmal einen Berührungspunkt gab, den sie verpassten, können ein Lied davon singen. Auch Ein Fremder am Strand atmet dieses Gefühl und macht es zu seinem Hauptmotiv. Im Zentrum geht es dem auf einem gleichnamigen Manga beruhenden Film um den jungen Schriftsteller Shun und dem Waisen Mio, die Zukunft und Vergangenheit bewältigen und gleichzeitig den Weg zueinander finden müssen.
Regisseur Akiyo Ohashi presst die episodenhafte Erzählung in kurze Szenenabschnitte, die weniger den Eindruck einer chronologischen Abfolge erwecken, stattdessen viel mehr auf ein Lebensgefühl deuten. Die reduzierte Laufzeit von 59 Minuten mag dadurch ausgedehnter erscheinen, als sie ist, und beim Zuschauenden den Eindruck erwecken, der Film habe Rhythmus-Probleme. So empfindet man bei der Sichtung des Werkes die Frustration, häufig nicht ganz bei den strahlenden Kolorierungen, den ausgestellten Emotionen und feinfühlig beobachteten Alltagssituationen ankommen zu dürfen. Jedes Bild wirkt detailverliebt und scheint bekannte Stimmungen anzusprechen, die den Zuschauenden jedoch stellenweise nicht angehen mögen.
Ob gewollt oder ungewollt, produziert dieser Eindruck der Frustration eine eigene Stimmung, die dem Hauptmotiv des Werkes dienlich ist. So wie sich Shun und Mio emotional ständing verfehlen, ihre Bedürfnisse an den Ansprüchen ihrer Gesellschaft vorbei gehen, so leidet auch der Zuschauende, der die aufeinanderfolgenden Szenen zwar stets in ihrer Schönheit erkennen, sich jedoch nicht immer in ihnen einrichten kann. Aufgelöst wird diese Spannung spätestens zum Ende hin, wenn sich manch ein Konflikt löst und auch erzählerische Geschmeidigkeit in den sonst sperrigen Verlauf einkehrt. Ein Fremder am Strand endet befreiend - nicht ohne den Blick in Richtung der Fortsetzung der Manga-Vorlage zu richten.
Dabei gelingt es dem Film, Sensibilität für die Angst davor, nicht als "normal" wahrgenommen zu werden, zu zeigen und dennoch durch seine Konzentration auf die Intimität der beiden Protagonisten performativ eben diese Normalität zu betonen. Entstanden ist ein Coming-of-Age-Film, der das Zauberhafte dieses neuen Lebensabschnitts besonders gelungen porträtiert. Gekonnt vereint er große, existenzielle Emotionen mit kleinen Unsicherheiten, die er mal im Witz auflöst, mal dem Unbehagen überlässt. Gerade die detaillierten Animationen sind hier zu loben, die in wenigen Momenten sich berührender Hände, kurzer Blickwechsel und intensiver Berührung viel über das Innenleben der Charaktere zu erzählen verstehen.
Licht- und Farbkompositionen bespielen währenddessen die vielen Facetten des Wechselbads der Gefühle, in dem sich die Protagonisten befinden. Seien es Zärtlichkeiten, die im schummrigen Graublau der Nacht ausgetauscht werden oder Blicke aus der Dunkelheit hin zum warmen Licht, das den Geliebten umgibt. Seien es lichtgeflutete Räume, die vom einbrechenden Neuen zeugen oder eisige Bilder, die von Einsamkeit berichten. Dieses Kreuz und Quer an Stimmungen weiß nicht nur zu überzeugen, sondern verdeckt auch die heimlichen Schwächen des Filmes, die vor allem darin bestehen, dass er die Charaktere mit ihren komplexen Hintergründen innerhalb von einer Stunde nicht vollends entwickeln kann. Aber wenn unsere Protagonisten diese emotionale Überladenheit auf ihren Schultern stemmen können, sollten wir das wohl auch.