Barcelona, 1967: Ein deutscher Architekt wird von vier Franzosen beschattet, die glauben in ihm einen untergetauchten, hochrangigen SS-Offizier erkannt zu haben. Nur fehlt ihnen der definitive Beweis und die Zeit spielt unbarmherzig gegen sie.
Kritik
Der deutsche Titel Hetzjagd ist eigentlich völlig deplatziert für Un homme à abattre, die neben der verunglückten und weitestgehend in Vergessenheit geratenen Real-Verfilmung Tim und Struppi und die blauen Orangen (1964) die einzige Kinoarbeit von Regisseur Philippe Condroyer blieb, der sonst nur im TV aktiv war. Was im Deutschen nach einem rasanten Reißer klingt entpuppt sich in Wahrheit als abgeklärter, von nervös-paranoidem Suspense angetriebener (Semi-)Polit-Thriller, der seine Spannung nicht aus Hektik oder Action generiert.
Alles beginnt – für den Zuschauer – mit einem Mord. Oder besser einem Attentat. Spontan…aus Versehen wäre die falsche Bezeichnung. Auf jeden Fall war dieser Mann nicht das primäre Ziel, nur zur falschen Zeit am falschen Ort und hat zu viel gesehen. Man hat (eventuell) keinen Unschuldigen auf dem Gewissen, aber nun ein Problem: Wenn das Verschwinden dieser Person auffällt, ist die gesamte Operation zum Scheitern verurteilt. Das wird eher früher als später definitiv geschehen, also muss eine von Natur aus schon geduldige Beschattung in Akkordzeit abgeschlossen werden. Wie eine Zeitbombe, die unfreiwillig scharf gemacht wurde und nun tickt und tickt, obwohl man sich bisher schon so behutsam von einem Draht zum anderen langehangelt hat.
Die französische Gruppierung rund um Julius (Luis Prendes, König der Könige), der während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg schlimmer Folter ausgesetzt war, glaubt in dem Architekten Hans Fromm den ehemaligen SS-Offizier Schmitt enttarnt zu haben. Dieser lebt zurückgezogen in einem Wohnblock in Barcelona. Julius ist sich trotz markanter Indizien nicht sicher, ob es sich wirklich um seinen Peiniger von damals handelt. Akribisch spioniert ihn seine vierköpfige Crew aus, sammelt jedes noch so kleineste Detail aus dessen auffällig-unauffälligem, da bis in jede Bewegung durchtrainierten, um wenig Aufsehen ausgelegten Alltag. Wie ein Uhrwerk, aber mit entblößenden Eigenarten versehen. Winzige Nuancen, mal persönlicher, mal struktureller Natur, die den Verdacht erhärten, aber nie eindeutig bestätigen. Durch die spontane Liquidation einer seiner vermeidlichen Kontaktleute wird die Luft dünn, denn nun muss schnell eine Entscheidung her. Ist Fromm der gesuchte Schmitt? Wenn nicht, muss wegen des Zeitdrucks eventuell ein Unschuldiger sterben? Wenn doch könnte er entkommen, sollte man sich aus Mangel an glasklaren Beweis nicht zum letzten Schritt entschließen?
Hetzjagd ist relativ schlicht in seinem Handlungsrahmen und deshalb beinah Kammerspiel-gleich, obwohl er diesem Sub-Genre eigentlich nicht zuzuordnen ist. Der Effekt ist dennoch ähnlich. Oftmals auf die subjektive wie spekulative Beobachter-Perspektive begrenzt, die einen Verdacht untermauert, aber immer mit der Möglichkeit hausiert, dass alle doch ganz anders sein könnte. Durch das clevere, gleich zu Beginn gezündeten Timelimit wird sich aller Geduld wie sensiblen Selbstreflektion zwingend entledigt und somit auch eine moralische Frage gestellt: Zählen Instinkt und Indizien mehr als stichfeste Beweise? Dahingehend ist sogar die im ersten Moment vielleicht als überflüssig eingestufte Szenerie zwischen Raphael (Jean-Louis Trintignant, Leichen pflastern seinen Weg) und dem nebenbei - aus persönlichen Gründen - ausspionierten „Blind-Date“ Sandra (Valérie Lagrange, La Vallée) von gewichtiger Substanz. Denn auch hier trügt der Schein und alles vermeidlich Offensichtliche (kann) nur eine oberflächliche Illusion sein. Für die beiden wirklich nur ein unwichtiges, zumindest nicht lebensnotwendige Detail, im eigentlichen Fall aber umso entscheidender. Mündend in einem doch noch wahrhaft rasant inszenierten Finale, das zusätzlich die hilflose Rattenschwanz-Thematik des Plots nur noch deutlicher unterstreicht.
Fazit
Irgendwo zwischen Costa-Gavras, Alfred Hitchcock und „Der Dialog“ von Francis Ford Coppola gelingt Philippe Condroyer mit „Hetzjagd“ ein spannender, klug inszenierter und auf mehrfacher Ebene hinterfragender Hybrid aus reinem Genre-Film und damals relevantem Welt-Polit-Thriller. Kompakt auf den Punkt runterreduziert, wie ein Jus aus feinsten Zutaten anderer Meisterköche. In das eigene Tagesmenu mit den Mitteln des Hauses bemerkenswert gut adaptiert.
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