6.5

MB-Kritik

Vor mir der Süden 2020

Documentary

6.5

Daniele Fior

Inhalt

1959, Italien. Pier Paolo Pasolini setzt sich im ligurischen Badeort Ventimiglia in seinen Fiat Millecento und umrundet einmal die italienische Küste. Der Form des berüchtigten Stiefels folgend fährt er 3000 Kilometer bis hinauf nach Triest. In VOR MIR DER SÜDEN begibt sich der deutsche Filmemacher Pepe Danquart auf Pasolinis Spuren. Die damalige Umrundung unternimmt auch Danquart als fliegender Flaneur im Fiat Millecento und blickt auf Umbrüche – nicht nur in einem Land, sondern auf einem ganzen Kontinent. 

Kritik

Sechzig Jahre nachdem , bekannt durch Filme wie Teorema -Geometrie der Liebe und Die 120 Tage von Sodom, vom Westen Italiens aus die Küste des Stiefels in einem Fiat entlangfuhr, begibt sich Vor mir der Süden auf selbige Reise. Am Steuer sitzt diesmal kein Italiener, sondern der deutsche Filmemacher , der 1994 für seinen Film Schwarzfahrer mit dem Kurzfilmoscar ausgezeichnet wurde. In seiner neusten Dokumentation folgt er der Fährte Pasolinis und fängt die Küstenregionen Italiens und deren Bewohner aus dem Blickwinkel des Jahres 2019 ein.

Untergliedert in mehrere Kapitel beginnt der Film an einem von blaugelben und grünblauen Sonnenschirmen besiedelten Sandstrand, in einer heilen Welt, die der saisonalen Werbung für die naheliegenden Hotelanlagen gleichkommt. Von dort aus beginnt die Reise entlang der Westküste, die mit Archivbildern und alten Aufnahmen Verbindungen und Vergleiche zur Vergangenheit zieht. Ständig präsent ist dabei ein Voice-Over, welches Textpassagen aus Pasolinis Reisetagebuch zitiert und in seiner künstlerischen Dramatik eher einem Hörbuch als einem Reisebericht gleicht. 

An vielen Stationen wie Sperlonga, Porto Palo oder Ostia, dem Ort, an dem Pasolini ermordet wurde, widmet sich Danquart zudem den Stimmen der Einwohner*innen. In kurzen Interviewsequenzen schildern die Menschen ihre eigene Geschichte, zeitgenössische Probleme oder erinnern an Pier Paolo Pasolini. Sein einflussreiches Schaffen ist ein mehrmals anklingendes Motiv in einem Film, der sich sonst aus vielen persönlichen Kurzeindrücken und Momentaufnahmen zusammen- und nur lose Schwerpunkte setzt. 

Zu Wort kommen Angehörige sämtlicher sozialer Schichten und Altersgruppen, wenn auch deutlich weniger Frauen als Männer. Themen sind neben der Erinnerung an Pasolini auch Architektur, Tourismus, Migration und Veränderung im Allgemeinen, ein reich gefülltes Fass an Geschichten, in welches selten tiefgründiger geblickt wird. Mit seiner losen Aufmachung erinnert der Film stellenweise gar an Dokumentarfilme von , ohne jedoch deren erfrischenden Charme zu versprühen, weil Danquart sich stets im Hintergrund aufhält. Für Liebhaber des Reisekinos und den kleinen dokumentarischen Eindrücken dennoch einen Blick wert.

Fazit

„Vor mir der Süden“ ist filmisches Fernweh in Form eines dokumentarischen Road-Trips mit Querverweisen zur Vergangenheit. Trotz zahlreich gesammelten und abwechslungsreichen Geschichten und der erinnernden Einbindung Pasolinis in die Erzählung ist die Laufzeit von knapp zwei Stunden Laufzeit so deutlich zu spüren, wie die Sonne, die aus jeder einzelnen Aufnahme der Küste dringt.

Autor: Paul Seidel
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