Inhalt
Ein 17jähriges Mädchen und ihr kleiner Bruder sind mit ihrem Vater mitten im australischen Outback, als dieser Selbstmord begeht. Die Kinder überleben, müssen sich nun aber allein zurechtfinden. Sie treffen auf einen 16jährigen Aborigine, der sich auf seinem Walkabout befindet. Einem traditionellen Ritual, bei dem junge Männer allein in der Wildnis überleben müssen. Sie schließen sich ihm an und entdecken dabei eine ihnen bisher völlig fremde Welt.
Kritik
Als Kameramann war der Brite Nicolas Roeg schon seit den frühen 50ern im Filmgeschäft und sammelte dabei Erfahrung bei den ganz Großen, bevor er 1970 mit Performance sein Regiedebüt gab, damals allerdings noch als Teil eines Duos gemeinsam mit dem ebenfalls debütierenden Donald Cammell (Des Teufels Saat). Bevor er nur wenige Jahre später mit Wenn die Gondeln Trauer tragen, Der Mann, der vom Himmel fiel und Black Out – Anatomie einer Leidenschaft gleich drei Meisterwerke in Folge drehte, legte er 1971 mit Walkabout – Der Traum vom Leben sein Solo-Debüt als Regisseur hin. Von seiner englischen Heimat zog es ihn in einen anderen Teil des Commonwealth.
Zu Didgeridoo-Klängen lässt Roeg zunächst keine Worte, sondern rein die Bilder sprechen. Man sieht dem Treiben der modernen Zivilisation in den Großstädten zu. Erlebt das Australien, dass nichts mit seinen kulturellen Wurzeln zu tun hat und eine Großstadtmetropole zeigt, wie es sie überall auf der Welt gibt. Ein krasser Gegenentwurf zu dem, was in den folgenden 95 Minuten dem Publikum überwiegend offenbart wird und gleichzeitig schon ein Vorgeschmack auf den Diskurs, den Roeg mit seinem berauschenden Bilderreigen noch mehrfach anstoßen wird. Der eigentliche Plot beginnt mit einem familiären Picknick-Ausflug ins Outback. Der Vater (John Meillon, Ferien in der Hölle) hat seine beiden Kinder, ein 17jähriges Mädchen (Jenny Agutter, Marvel’s The Avengers) und einen vielleicht 6jährigen Jungen (Luc Roeg, der Sohn des Regisseurs), jedoch nicht für ein vergnügliches Beisammensein dorthin gebracht. Unvermittelt eröffnet er das Feuer auf seine Kinder, die sich in Sicherheit bringen können. Anschließend setzt er das Auto in Brand und richtet sich mit einem Kopfschuss selbst. Völlig verstört versucht das Mädchen, ihrem kleinen Bruder zunächst die unvorstellbare Tat herunterzuspielen und im Anschluss, beiden das Überleben inmitten der unbekannten Wildnis zu gewährleisten. Dabei treffen sie auf einen 16jähringe Aborigine (David Gulpilil, Australia), der sich auf seinem Ritual zum Erwachsenwerden befindet. Die Geschwister schließen sich ihm an.
Keine der Figuren wird jemals namentlich genannt und exemplarisch nebensächlich ist auch das gesprochene Wort oder Sprache allgemein in Nicolas Roeg’s in vielerlei Hinsicht beeindruckendem Solo-Regie-Debüt, der eher ein Film des Erlebens denn des Erzählens ist. Vieles verläuft hier ganz selbstverständlich über das Gefühl, die Emotion und vor allem auch das Audio-Visuelle, was nicht bedeutet, dass man es hier mit einem reinen Eye-Candy zu tun hat. Natürlich sind die wunderschönen Landschaftsimpressionen, die betörenden Bildkompositionen und insbesondere auch die experimentellen Schnitte und Filter mitentscheiden für die enorme Sogwirkung dieses Werks, welches sich aber hauptsächlich als bald meditatives Erlebnis unwillkürlich ins Langzeitgedächtnis einbrennen wird. Nicolas Roeg erzählt nicht unbedingt eine Coming-of-Age-Geschichte, obwohl er dafür alle notwendigen Zutaten bereit hätte. Vielmehr steht hier eine Gegenüberstellung völlig konträrer Lebensumstände und Weltanschauungen im Fokus, die in Australien wie in kaum einem Kontinent extreme Gegenpole ausmachen. Fast wie nebeneinander existente Paralleluniversen. Anhand von gelegentliche Gegenschnitten, beispielsweise der Jagd bzw. der „zivilisierten“ Weiterverarbeitung eines Kängurus, noch deutlicher und unmissverständlicher natürlich in der direkten Gegenüberstellung bzw. sogar der Überschneidung und Vermischung beider Lebenswelten, was dann „merkwürdig“ (die Aborigines beim Erkunden des Autowracks) bis „unangenehm“ (Aborigine-Kinder als billige Arbeitskräfte) erscheint.
Ist es „dem Mädchen“ zu Beginn noch wichtig, dass ihr kleiner Bruder nicht seine Klamotten beschädigt, damit man sie später nicht mit Landstreichern verwechselt (in dieser lebensgefährlichen Situation ein an sich völlig absurder Gedankengang), scheint sie später insgeheim sehr großen Gefallen zu finden an dieser neuentdeckten Form von Freiheit und dem Bewusstsein für das, was sich außerhalb ihres bisherigen Kosmos abspielt. So wirkt es manchmal wie ein Wink des Schicksals, dass sie „die Rettung“ nur um Haaresbreite verpassen. Und so sehnsüchtig ihr Blick zurück, wenn sie Jahre später doch das Leben lebt, von dem sich ihr Vater anfangs so radikal verabschiedete. Nicolas Roeg betreibt dabei keine blinde und einseitige Ethno-Romantik, fängt die große Diskrepanz dieser ungleichen Welten auf einem Fleck dafür treffend ein und lässt den Zuschauer*innen, in wie weit sie das Gezeigte für sich werten und in interpretative Relation setzen. Eine deutliche Kritik an der gedankenlosen Maßlosigkeit in Bezug auf Ausbeutung und Kapitalisierung des Kontinents, die ist hingegen unmissverständlich. Ein klares Statement sei auch bei so einem „freien“ Film selbstverständlich erlaubt.
Fazit
Ein wunderschönes und inszenatorisch beeindruckendes Erlebnis. Warum Nicolas Roeg direkt danach mit „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ sein erstes Meisterwerk drehen sollte, ist dahingehend theoretisch nachvollziehbar, nach Mechanismen des Filmbusiness aber schon erstaunlich. Da hat jemand das große Talent dieses besonderen Filmemachers erkannt und etwas gewagt. Wie Nicolas Roeg mit diesem sehr speziellen, in vieler Hinsicht sogar schlichtem, unter anderen Gesichtspunkten aber umso faszinierenderem Werk.
Autor: Jacko Kunze