Inhalt
Das junge Paar Corinne und Roland ist auf dem Weg aufs Land, um das Testament von Corinnes Vater zu empfangen. Doch unterwegs widerfährt ihnen allerhand Unglück und es scheint, als hätte sich die Welt gegen sie verschworen.
Kritik
Wenn man sich Weekend ansieht, könnte man den Stimmen zum Film annehmen, hat man es geschafft. Man ist Godard bis zu seinem eigenen Ende gefolgt. So weit, bis er sich vielleicht selbst dekonstruiert, bis er dem Film als Medium abgeschworen hat. Ein Film verirrt im Kosmos. Ein Film, gefunden auf dem Schrott. Ist das ein Jean-Luc Godard, der Abschied nimmt, oder ein Godard, eingenommen von Selbstzweifel? Ein trauernder oder ein wütender Godard? Vielleicht alles und vielleicht gar nichts davon. Mit solch vagen Aussagen kommt man ja aber natürlich nicht weiter, vor allem nicht dichter zur Essenz des Filmes und auch wird man nicht vertrauter mit dem Schaffen des Franzosen. Da trifft es sich gut, dass Weekend bei weitem kein vager Film ist. Sondern einer, der vollkommen auf die Zwölf ist.
Ganz im Stil des postklassischen Films handelt es sich bei Weekend um ein Werk, das äußerst selbstbewusst ist. Und wie schon zuvor in Pierrot Le Fou spielt der französische Auteur hier ansehnlich mit Farben. Farben in einer Welt, die einem im fotorealistischen Sinne bekannt vorkommen mag, die jedoch eigentlich völlig deformiert, zerfressen und anarchisch ist. Gewalt entbrennt hier unheimlich schnell, meist über niedere Wertgegenstände. Die bösen Absichten der Figuren sind dabei von vornherein bekannt. Auch, weil die Charaktere allesamt mit offenen Karten spielen und gar keinen Hehl daraus machen, dass sie beispielsweise auf das Erbe des Schwiegervaters aus sind. Es wäre nicht schlecht, wenn dein Vater sich auf dem Rückweg im Verkehr umbringen würde. Godard überzeichnet zu jeder Zeit, macht dabei jedoch einiges klar (und wichtige Punkte müssen deutlich gemacht werden).
Das Leben des Ehepaars dreht sich ausnahmslos um das Element der Berechenbarkeit und Manipulation. Jeder spielt hier mindestens ein doppeltes Spiel mit jedem anderen. Es ist unklar, ob die Figuren sich ihre Lügen wirklich glauben oder nur strategisch darauf eingehen, um die andere Figur im Glauben zu lassen, dass sie selbst glauben. Und auch der Zuschauer darf nicht den genauen Plan der Figuren kennen, er darf nicht einmal die Figuren genauestens kennen - immer wieder lässt Godard Musik so laut einsetzen, dass sie die Monologe der Charaktere übertönt. Währenddessen nähert sich die Kamera immer wieder den Figuren an, nur um sich wieder zu entfernen. Das Werk versucht verschiedene Perspektiven gegenüber der Figure, ihrer Geschichte, des Films. Positive scheinen dabei trotzdem nicht zum Vorschein zu kommen. Godard findet dabei auch die perfekte Metapher für diese aggressive, nervtötende und egoistische Art des Menschen in einem Verkehrsstau. Diese Szene hat sicherlich Geschichte gemacht und das merkt man ihr an.
Ein Stau, der durch einen Unfall an der Stelle verursacht wurde, wo sie ihrem Schwiegervater den Tod wünschen. Die Universum-Folgen ihrer Bosheit erwarten sie schon vor ihrer Tat - die Figuren reagieren aber bloß mit heiterer Musik und kleinen Neckereien dahingehend, dass der Fahrer zu langsam sei. Alle Menschen stehen im Stau auf der gleichen Stufe - hier offenbart sich eine weitere deutliche Ebene der Metapher - und dennoch ist niemand willens auch nur einen Meter zu rücken, um das Problem zu lösen. Niemand will seine Position/seinen Stand aufgeben, das könnte ja Ansehen, Reichtum, Prestige mindern. Und das ist das einzige was zählt, auch nach dem Tod. Nach dem Tod. Mit dem Auto als Symbol für das kaputte System, dessen fester Bestandteil der brutale Tod ist, mit Hollywood als dem Ort, an dem Träume verschachert werden. Eine zutiefst verrottete Gesellschaft wird hier offenbart. Besitz und Prestige regiert. Empathie ist nicht existent und Gier ist die einzige Tugend.
Jean-Luc Godard will mit Weekend das Kino begraben, nachdem er mehrere Jahre versucht hat, es auf eine neue existenzialistische Stufe zu heben. Das hat manchmal schon fast couple-on-the-run-Charakter, dieses Roadmovie und kann dabei recht nervtötend sein, bleibt aber stets unterhaltsam und vor allem anziehend genug, um zu fesseln. Zum Ende hin wird der Film immer ekliger, mit dokumentarischen Tötungen von Tieren und macht es sich zur Aufgabe, den Zuschauer zur kompletten Abneigung gegenüber Werk und Medium zu treiben. Die reflexartigen Zuckungen des geköpften Vogels sind dabei die letzten Röchler des Kinos. Und des Mediums, das für Godard doch die vollkommenste Form der Medien darstellt. Ist der Film dabei trauernd oder wütend? Auf das Kino selbst? Tatsächlich scheint Godard die Schuld des künstlerischen Scheiterns komplett beim Rezipienten zu sehen.
Fazit
Wer diesen Film wirklich gut findet, der denkt zu kurz und kommt Godards Intention nicht gleich. Der erzwingt mit diesem Film nämlich negative Reaktionen. Alles andere würde sein Ziel verfehlen. Natürlich steckt darin große Genialität. Wichtiger, als dass man einen Film gut findet, ist, dass man durch die Abneigung gegenüber diesem Film einen Charakterzug in sich erneut entdeckt, der wohl irgendwie abhanden gekommen ist; die Menschlichkeit. Der episodisch erzählte Film schickt seine Figuren äußerlich zu den Eltern und innerlich immer weiter gen Mittelalter und Anarchie. Eine nervtötende, anstrengende, widerliche und verachtenswerte, äußerst überzogen und lustige Groteske über den Kapitalismus. Andererseits ein genialer Film und vielleicht Godards größter Geniestreich, wenn er den Zuschauer abschreckt und ihm dadurch mit der neu gewonnen Entfernung sein eigenes Spiegelbild vorhält. Der Zuschauer wird dabei zum Opfer eines Zaubertricks, den Godard von Anfang an geplant hatte. Zurück zur Berechenbarkeit und Manipulation. Und zum Ende des Kinos.
Autor: Levin Günther