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Was können die USA von anderen Ländern lernen? Michael Moore will es genau wissen und marschiert als Ein-Mann-Armee in Europa und Tunesien ein. Wo immer er seineUS-Flagge in fremden Boden rammt, will er keine Territorien und Ölfelder erobern, sondern gute Ideen. Und zwar solche, mit denen Länder wie Deutschland, Frankreich und Italien gute Arbeits- und Lebensbedingungen für ihre Bürger geschaffen haben. Egal ob faire Löhne oder gesundes Schulessen, kostenlose Bildung oder menschenwürdige Gefängnisse: Michael Moore klaut alles, was erkriegen kann. Denn Europa hat Lösungen für viele Probleme, an denen die amerikanische Gesellschaft seit Jahren krankt. Je länger Michael Moore staunend durch Europa reist, um so klarer wird ihm: Der amerikanische Traum lebt! Wenn auch nur außerhalb der USA.
Kritik
Es gibt wohl kaum einen anderen Dokumentarfilmer, der so polarisiert wie Michael Moore (Sicko). In seinen Werken hat der Amerikaner die Idee der USA als Land der unbegrenzten Möglichkeiten schon früh ins genaue Gegenteil gekehrt und sein Heimatland scharf kritisiert. Seine bekanntesten Filme wie Bowling for Columbine oder Fahrenheit 9/11, in denen er vor allem die Politik der vereinigten Staaten anprangerte, waren von einem unglaublich satirischen und entlarvenden Tonfall geprägt, während die Vorgehensweise von Moore recht klar als extrem einseitig, polemisch und mitunter manipulativ zu erkennen ist. Das macht seine Arbeiten auch immer zur leichten Zielscheibe für Kritiker, die Moore kaum noch ernst nehmen.
Auch in seiner aktuellen Dokumentation Where to Invade Next präsentiert sich Moore in typischer Form, wenn er in europäische Länder reist, um der USA einen Spiegel vorzuhalten, was bei ihnen alles falsch läuft. Erneut geht Moore für dieses Vorhaben wenig überraschend äußerst blauäugig und beschönigend vor, woraus er allerdings auch gar kein großes Geheimnis macht. Seine Mission sei es, ausschließlich die Blumen zu pflücken und nicht das Unkraut zu ernten, wie er gleich zu Beginn des Films verkündet. Die sozialen Probleme, staatlichen Restriktionen oder gesellschaftlichen Umschwünge der jeweiligen Länder ignoriert der Regisseur konsequent. Für ihn ist Europa ein Wunderland der staunenswerten Begebenheiten und unbedingt zu nutzenden Chancen, das er wie ein neugieriges Kind durchquert und dabei traumhafte Vorzüge auf ebenso amüsante wie nachdenklich stimmende Art zu Tage befördert.
In Italien sehen für Moore alle Menschen so aus, als hätten sie gerade erst Sex gehabt. Erklären kann er sich das durch den Umstand, dass Italiener bis zu acht Wochen bezahlten Urlaub im Jahr bekommen oder Mütter fünf Monate bezahlte Elternzeit. In Frankreich schwärmt er über das vorzügliche Essen in Schulkantinen, das mit dem meist kaum identifizierbaren Matsch aus amerikanischen Kantinen überhaupt nicht zu vergleichen ist. Die Studenten in Finnland wirken deshalb so gelassen und fröhlich, da sie hier völlig kostenlos studieren dürfen, während sich der durchschnittliche Amerikaner hoch verschulden muss, um einen Universitätsabschluss erlangen zu können. Den Vogel schießt Moore mit seinem bizarren Abstecher nach Norwegen ab, wo gesetzlich verurteilte Straftäter auf eine Insel gelangen, in der sie gemütliche Wohnungen beziehen, von den Wärtern fast schon freundschaftlich behandelt werden und alles auf das resozialisierende Wohl ausgelegt ist.
Gelingt es einem als Zuschauer, eine nüchterne Distanz zu den hier gezeigten Darstellungen zu bewahren, kann man sich von Moore ganz vorzüglich unterhalten lassen. Vor allem der anregende Schnitt ist ein Markenzeichen des Regisseurs, bei dem er Interviews, Ausschnitte oder Popkultur-Schnipsel sowie Fakten und Erklärungen zu einem höchst einlullenden und amüsanten Erlebnis montiert. In der Vergangenheit hat sich Moore zwar diesbezüglich noch verspielter und wilder ausgetobt, doch auch Where to Invade Next besitzt viele dieser Momente, die einen herrlichen Wahnwitz versprühen und zum lauten Lachen einladen. Während er mit seinen Werken früher böse Geschosse auf die USA feuerte, ist diese Dokumentation Moores bislang optimistischste, friedlichste und sanftmütigste. Auch wenn er an einigen Stellen mal wieder arg über sein Ziel hinausschießt und etwas zu naiv wirkt, wird das Bestreben, seinem Heimatland eine Hilfestellung anzubieten und zukünftig dauerhaft etwas verändern zu wollen, jederzeit ersichtlich. Besonders am Ende, wenn Moore etwas bedrückt zu dem Schluss kommt, dass viele der erstrebenswerten Verbesserungen eigentlich auf Grundlagen fußen, die aus dem früheren Amerika stammen, wird deutlich, dass "Where to Invade Next" ein Film ist, dem die USA sehr am Herzen liegt.
Fazit
Wer sich auf Michael Moores ganz eigene und bisweilen fragwürdige Art einlassen kann, erhält auch mit "Where to Invade Next" wieder ein ziemlich vergnügliches sowie zum Nachdenken anregendes Stück Dokumentarfilm. Auch wenn die gezeigten Beispiele oftmals sehr blauäugig und einseitig wirken, versteht es Moore, gleichzeitig sehr gut zu unterhalten, während er den Zuschauer geschickt einlullt. Ein Film, mit dem sich einiges anfangen lässt, sofern man eine gewisse kritische Distanz wahrt.
Autor: Patrick Reinbott