Inhalt
Etwas stimmt nicht und Etsuko ist eine der ersten, die es bemerkt. Nicht nur der Himmel scheint anders, Etsuko hört plötzlich merkwürdige Geräusche, und um sie herum passieren immer mehr unerklärliche Dinge: Spiegelflächen verformen sich, Menschen ändern ihr Verhalten. Sie lassen Dinge fallen und scheinen Schmerzen in den Armen zu bekommen. Als die junge Miyuki in ihrem Vater einen Geist zu sehen glaubt und die Nachrichtensender globalen Dauerregen prophezeien, verdichten sich die Hinweise, dass das Ende der Welt naht. Ruhig und auf schleichenden Sohlen führt uns der arrivierte und mehrfach preisgekrönte japanische Regisseur Kiyoshi Kurosawa an seine dystopische Science-Fiction-Geschichte heran, in der es um einen außerirdischen Arzt geht. Der hat nicht weniger vor, als der Menschheit Konzepte wie „Familie“, „Würde“ oder „Angst“ zu stehlen. Mit großem Gespür für unheimliche Räume, Farben und Lichtsetzungen baut Kurosawa genüsslich Versatzstücke aus Thriller, Horrorfilm und Endzeitdrama zu einer beunruhigenden Vision zusammen. Yocho (Foreboding) ist aus der gleichnamigen Mini-Serie und in Korrespondenz zu Kurosawas Film Sanpo Suru Shinryakusya entstanden.
Kritik
Es beginnt mit einer unguten Vorahnung. Die junge Fabrikarbeiterin Etsuko (Kaho, Unsere kleine Schwester) verspürt es eines Tages beim Blick aus dem Fenster zum Himmel. Ihr Partner Tatsuo (Shota Sometani, Bakuman) fühlt die unheilschwangere Stimmung offenbar schon länger, denn er starrt den Himmel richtig zombiemäßig an. Entweder nimmt das Pärchen die Warnung aus The Thing from Another World Warnung „Keep watching the skies!“ verdammt ernst, oder etwas Fieses ist von oben im Anmarsch! Zweites ist der Fall, wie gleich Grusel-Effekten eingeschnittene Aufnahmen von Regen und Schlechtwetterfronten verkünden. Die Bedrohung in Kiyoshi Kurosawas Sci-Fi-Thriller ist nicht die Klimakatastrophe, obwohl der Regisseur total ressourcenschonend recycelte Archivbilder einschneidet und die gleich mehrmals verwendet. Warum haben Etsukos Kollegen dann Armscherzen oder erkennen Verwandte nicht mehr?
Es ist die Invasion of the Concept Snatchers! Eines der dafür verantwortlichen Aliens, das im Körper von Tetsuos Doktor-Kollegen Makabe (Masahiro Higashide, Creepy) gastiert, erläutert die außerirdische Mission in einer frühen Szene. Aber warum wollen die Aliens den Menschen das Verständnis für komplexe Konstrukte hinter Begriffen klauen, da sie selber dergleichen nicht besitzen? Basteln die an einer komplizierteren Fortsetzung von Scrabble? Überhaupt: Wie können Aliens eine Mission (Konzept) zur geheimen (Konzept) Invasion (Konzept) planen (Konzept), wenn sie keine Konzepte (Konzept) kennen? Besser niemand sagt Kiyoshi Kurosawa was von diesem größten der klaffenden Drehbuchlöcher. Der Regisseur ist nämlich scheinbar vernarrt in die Idee. Um die konstruiert er mit der gleichnamigen Serienvorlage und Before We Vanish einen eigenen Kosmos konstruiert.
Tetsuos Ankündigung, das hier sei erst der Anfang, ist also keine leere Drohung. Alle bösen Vorgefühle sind absolut berechtigt - die der Protagonisten und die, die sich nach dem soliden Auftakt beim Publikum einstellen. Was Kurosawa zu Beginn mit konventionellen, doch durchaus effektiven Mitteln an Spannung und Mysterium aufbaut, zerstört er so rabiat, dass es die verhedderte Story an den Rand der Selbstparodie rückt. Das wiederum gibt den kuriosen Aktionen, mit denen Etsuko den von Alien-Makabe als Reiseführer durch die Menschenwelt ausgewählten Tetsuo retten will, eine absurde Komik. Ob ein Teil davon gewollt ist, ist schwer zu sagen. Den letzten Rest Stimmung erodiert die schiere Absurdität jedenfalls. Kurosawas Magnum Opus wird das kaum ausbremsen: „Keep watching the screen!“
Fazit
Die Grundidee seines Sci-Fi-Thrillers hat Kiyoshi Kurosawas zwar von bekannten Genreklassikern abgeguckt, aber dank zurückhaltender Inszenierung geht sie anfangs dennoch gut auf. Bevor sie Story oder Charaktere entwickeln können, zerschlagen jedoch Übererklärungen, Logikbrüche und abstruse Wendungen das Fundament eines unterhaltsamen B-Movies kaputt. Um aus einer soliden Prämisse ein schlüssiges Ganzes zu machen, fehlt dem Regisseur hier leider das Konzept.
Autor: Lida Bach