Von DomKarnage am Donnerstag, 17 März 2022, 06:19 Uhr
Bildnachweis: © Netflix | Szene aus "The Woman in the Window"
Aktuell läuft in den Kinos das Cyrano, bei dem Regisseur Joe Wright ein Musical abliefert, mit dem klassischen Stoff aber zugleich auch zu den Wurzeln seiner hochgelobten Gesellschaftsmelodramen Abbitte oder Stolz und Vorurteil zurückfindet. Und das scheint tatsächlich der Fall zu sein, wie nun aus einem besonders ausschweifenden Interview mit Vulture hervorging. In dem Gespräch kommt Wright darauf zu sprechen, wie sehr ihn die Produktion seines Vorgängerfilms The Woman in the Window mitgenommen hätte und er danach erst zu seiner künstlerischen Seele habe zurückfinden müssen.
Dabei handelt es sich um einen Thriller, basierend auf dem Bestseller von A.J. Finn, in dem Amy Adams als Psychiaterin mit Angststörung Zeuge eines Mordes in ihrer Nachbarschaft wird. Die Romanverfilmung hatte Joe Wright bereits 2018 im Anschluss an seinen Oscargewinner Die dunkelste Stunde gedreht, ein Kinostart war zunächst für Herbst 2019 vorgesehen. Doch wurde in der Zwischenzeit das produzierende Studio Twentieth Century Fox von Disney aufgekauft und die zuständige Sparte Fox 2000 an Tag 1 nach der Übernahme dicht gemacht. Da The Woman in the Widow aber auch bei Testvorführungen weniger gut wegkam, setzte man kurzerhand Nachdrehs an und verschob den Release auf 2020 (wir berichteten). Allerdings wurde der Film wohl auch darüber hinaus noch stark umgeschnitten und verändert, wie Joe Wright nun enthüllte:
"(...)Es wurde sehr verwässert. In meiner ursprünglichen Konzeption war er viel brutaler. Sowohl ästhetisch, mit wirklich verdammt harten Schnitten als auch wirklich gewalttätiger Musik - Trent Reznor hatte eine unglaubliche Partitur dafür gemacht, die aggressiv und hardcore war - und die Darstellung von Anna, der Figur von Amy Adams, war in vielerlei Hinsicht viel unordentlicher und auch irgendwie verabscheuungswürdiger. Leider mögen Zuschauer Frauen, die in ihren Filmen nett sind. Sie wollen nicht, dass sie unordentlich werden und hässlich und dunkel und betrunken und Tabletten nehmen. Für Männer ist es in Ordnung, so zu sein, aber nicht für Frauen. Also wurde das Ganze verwässert, um etwas zu sein, was es nicht war. (...) "
Den Musikscore lieferte statt Oscarpreisträger Trent Reznor (The Social Network) dann Danny Elfman (Doctor Strange in the Multiverse of Madness), der dem Film ein starkes Flair im Stil alter Alfred Hitchcock-Klassiker wie Das Fenster zum Hof gab. Als filmische Vorbilder nennt Wright aber auch Brian De Palma, Dario Argento oder sogar Gaspar Noé, an dessen harter Schnittdramaturgie im Skandalfilm Irreversibel er wohl sich besonders orientieren wollte.
Letzten Endes zahlte sich die mühsame Nachbearbeitung aber auch nicht wirklich aus. Durch die zwischenzeitlich aufgekommene Coronapandemie fand The Woman in the Window nämlich den Weg erneut nicht ins Kino, sodass Disney den Streifen an Netflix verkaufte, die ihn schlussendlich letzten Mai veröffentlichten. Dort stieß er aber auch eher auf mäßige Begeisterung und teils sogar vernichtende Kritiken, zuletzt kassierte der Film fünf Nominierungen für die Goldene Himbeere, darunter für Amy Adams als schlechteste Hauptdarstellerin und Joe Wright als schlechtester Regisseur.
Trotz aller Kritik, räumt dieser aber im Nachgang ein, dass seine Version des Films nicht automatisch auch die bessere hätte sein müssen und wohl auch nicht sonderlich gut gewesen wäre. Daher hält die Vorstellung eines Director's Cuts auch eher für wahnwitzig:
"Ich denke, es würde eine Menge Geld kosten, weil du das ganze Ding umschneiden, umstufen, remixen müsstest. Aber es würde Spaß machen, ich würde das liebend gern tun. (...)Wir haben als Künstler, das Recht zu scheitern.(...)"
Aktuell befindet sich Joe Wright mit Stoner in der Vorproduktion für eine weitere Romanverfilmung, dieses Mal mit Casey Affleck (Light of my Life) in der Hauptrolle. The Woman in the Window ist nach wie vor bei Netflix verfügbar.
Mochtet ihr den Film oder hätte ihr gern eine andere Version davon gesehen?