The YOU you are
Als gelungen kann man den Auftakt der Serie beschreiben, welche einen in ein kafkaeskes Szenario stürzt. Ahnungslos und gefangen in einem kapitalistischen bürokratischen System, dessen Aufgabe und Zweck die Protagonisten nicht erfahren dürfen, ist die panoptische Bilderfahrt berauschend und zieht in den Bann. Ich fühle mich an Kafkas DER PROZESS und DAS SCHLOSS erinnert.
Teil der bürokratischen Macht sind die zahlreichen Instanzen, von denen die Protagonisten aber nur mit den untersten Repräsentanten in Kontakt kommt. Alle reden von Regeln und der Firmenleitung, doch in dieser Machtmaschinerie darf jeder als Teil einer festen Hierarchie nur mit der Hierarchiestufe in Berührung kommen, die ihm unmittelbar über- oder untergeordnet ist. Alle erfüllen nur ihre Pflicht. Es interessiert sie nicht, ob das, was sie tun, rechtens ist, denn dafür gibt es keinen Anlass. Sie führen nur mechanisch die Aufträge der oberen Instanzen aus.
Die Welt außerhalb scheint auf den ersten Blick genauso seltsam, denn passt das ganze Universum in eine Schneekugel aus Glas, wie passend, dass es gerade schneit. Doch im weiteren Verlauf werden häppchenweise Informationen preisgegeben, die es zulassen ein Teil des Bildes zu erkennen, das die Außenwelt einigermaßen normalisiert.
Leider zieht sich die Serie wie Kaugummi, dabei hätte das Szenario doch gut in in eine extra lange Folge von BLACK MIRROR gepasst. So muss man sich noch eine zweite Staffel anschauen, was mich eher verärgert, denn ich will schon wissen wie es ausgeht. Anständig gefüllt hat man die Erzählzeit nämlich nicht. Es wäre so viel mehr drin und erst Recht von Nöten gewesen, als eine oberflächliche psychologisch philsophische Beschäftigung mit dem Grundthema, das offenbar zum Teil VERGISS MEIN NICHT zum Vorbild hatte.
Dort ging es auch darum, dass man ein Teil des Gedächtnisses löschen lassen kann, damit man nicht das Leid der Trauer erleben muss wg. einer verstorbenen Liebe. So ist es auch hier, doch wird hier das Gedächtnis nicht gelöscht, es entstehen nur zwei Ichs, ein Arbeits-Ich und ein Privat-Ich. Marc Scout und seine drei Kollegen haben sich alle "severn" lassen. Damit wird per Implantat, das ins Gehirn verpflanzt wird, zwei Persönlichkeiten geschaffen, die sich von der Firma umschalten lassen. Die beiden Persönlichkeiten wissen nichts voneinander. Die Befürworter dieser Severance-Technik sagen, dass sie so besser Privates und ihre Arbeit voneinander trennen können. Selbst wenn sie ihren Kollegen außerhalb begegnen, werden sie diese nicht als solche erkennen, aber der Vorteil ist ganz klar: man nimmt keine Sorgen von der Arbeit mit nachhause.
Für ein Unternehmen hat das riesige Vorteil, denn so sind die Menschen nicht abgelenkt von privaten Dingen.
Doch am Ende stellt sich die entscheidende Frage:
Kann das Unternehmen bzw. der Mitarbeiter langfristig einen Vorteil aus dem Severance ziehen?
Der Nachteil zeigt sich in der Serie schon sehr schnell, denn das Arbeits-Ich will wissen wie es seinem Privat-Ich geht. Der Drang ist ungeheuer groß, auch weil die Arbeit, die sie tun, so sinnlos erscheint. Menschen sind ebnen keine Roboter. Die Arbeits-Identität ist sozial-emotional verkrüppelt, denn es gibt weder eine Identifikation mit dem Unternehmen, noch mit dem was man produziert oder verrichtet. Alle Kollegen sprechen auf der Arbeit nur über die Arbeit, weil sie vom Privat-Ich gar nichts wissen. Sobald sie die Schwelle zur Firma übertreten switcht die Persönlcihkeit um und die Erinnerungen von draußen sind weg. Alle Erinnerungen die einem nun zur Verfügung stehen ist die des Arbeits-Ich mit dem Tag der Severance, also der Abtrennung des Arbeits-Ich vom Gesamt-Ich.
Es gibt ein literarisches Beispiel aus der Frühzeit des Menschen, welches aufzeigt, dass selbst wenn man dem Menschen das Paradies zu Füßen liegt, er sich nicht damit zufrieden gibt, weil er nach Wissen und Erkenntnis dürstet. Im Paradies, waren die Menschen von Gott vollversorgt und trotzdem nicht zufrieden, denn sie waren nicht wirklich freie Individuen, sie waren Vögel im goldenen Käfig. So kann man leicht voraussagen, dass LUMON mit der Severance-Technik erst Recht keinen Erfolg haben wird, jedenfalls nicht bei allen.
Es gibt sicher Menschen, die nehmen das alles hin und ergeben sich dem, sie fragen nicht und sind nicht wissbegierig oder neugierig. Für die ist diese Technik ideal, aber man kann eben vorher nicht wissen, ob man zu denen gehört, die dafür kompatibel sind.
SEVERANCE ist eine stille Satire auf unser Arbeitsleben und den Drang, in unserer Freizeit die Identität zurückzugewinnen, die man auf der Arbeit reduziert hat. Die Arbeitsteilung hat die Arbeits-Idenität verkrüppelt. Hat frührer ein Schreiner auf Kundenwunsch ein Kunstwerk von einem Schrank gefertigt, das herzugeben ein schwieriger emotionaler Akt war, drückt der Schreier von heute Knöpfe am Band, wird von der Kameraüberwacht, ob er auch sonst nichts anderes tut, denn Kreativität und Schöpfungskraft sind nicht gefragt. Das Werkstück, das am Ende vom Band läuft, sieht ein Mitarbeiter im Allgemeinen nie. Seine Identifikation mit dem Produkt geht gegen Null. Dementsprechend unzufrieden ist der Arbeiter heutzutage. Viel schlimmer ist es in Altenpflegeheimen, wo das Werk an Menschen verrichtet wird. Hier darf man auch nur noch Knöpfe drücken für das aus dem Bett heben, Waschen, Ankleiden, Fütter und wieder ins Bett heben. Zeit für sozial-emotionale Interaktionen ist nicht in der Arbeitszeit miteinberechnet worden. Viele Mitarbeiter kündigen derzeit, nicht weil die Bezahlung zu schlecht ist, sondern weil sie so nicht mit Menschen umgehen wollen. Am Ende erledigen den Job der Altenpflege nur noch Psychopathen und Soziopathen, die keine Empathie haben.
20% hatte die Produktivität seit dem Jahr 2000 zugenommen, aus Gründen der Konsolidierung von Arbeitsprozessen, doch hat sie erstmals seit 2020 wieder abgenommen. Die Zahl der Burnouts ist gestiegen und gleichzeitig die Zahl dereren, die ihre Arbeitszeit auf 30 Stunden heruntersetzen. Definierte man sich früher über die Zugehörigkeit zu einem Verein oder Partei, ist dafür heute keine Zeit. Die Individualisierung der Arbeitszeit führt dazu, dass Menschen nachts umd halb Drei ins Fitness-Studio gehen. Ganztagsschaulen haben Vorteile, aber ein Nachteil ist, dass sie den Vereinen den Nachwuchs wegnehmen, denn früher waren die Trainingszeiten direkt nach der Schule. Wenn die Schule aber heute erst um 17 Uhr zuende ist, dann gehen dementsprechen wenige noch in einen Verein.
Die Rationalisierung in der Arbeitswelt hat indrekte Auswirkungen auf das Privat-Leben der Arbeitnehmer. Es formiert sich Widerstand.