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Entenverlag

Kritik von Entenverlag

Gesehen: Januar, 2024

Spoiler- & Triggerwarnung:
Gewalt, sexueller Missbrauch, Tod

In "Blade Runner" geht es um das Sehen. Um das genaue Hinsehen. Sowohl für Figuren als auch für Zuschauende. Denn ja, der Film begreift sein Medium als in erster Linie visuell. Er gibt sich Ästhetik hin, referiert über Blickwinkel, verweist auf Augen. Schließlich sind diese das Fenster zur Seele - was aber, wenn man keine hat?

Und das ist nicht einmal metaphorisch gemeint: Die eigentlichen Stars des Werkes sind Replikanten. Rachel, Roy, Pris - künstliche Intelligenzen, in deren erklärter Nichtmenschlichkeit der Film die Menschlichkeit sucht. Er formuliert eine Hypothese - die Lebendigkeit der KIs - und versteckt deren Evidenz in seiner Inszenierung. Mal offensichtlich, mal subtiler; doch stets im Vergleich zum menschlichen Protagonisten des Filmes, Rick Deckard. Sei es, dass Rachels Gesicht neben seinem nicht minder natürlich wirkt, oder sei es, dass sie sein Klavier spielen kann. Musik, eine der größten Errungenschaften der Menschheit, in den Händen eines Replikanten. Sie sind zur Selbstreflexion fähig, erkennen die Grausamkeit aber auch die Größe ihrer Taten und sind sowohl Bedrohung als auch Opfer. Horrorartig inszenierte Actionszenen unterstreichen die Gefahr, welche von ihnen für die Menschheit ausgeht, während es die menschlichste Szene des Filmes ist, dass der Replikant Roy seinen Widersacher rettet.
Ja, "Blade Runner" interessiert sich für die Beweggründe, die Emotionen, die Verletzlichkeit der KIs. So ist die Methode, sie zu erkennen, ein langes, persönliches Gespräch, während welchem die Iris der Replikanten beobachtet wird. Denn erst, wenn man genau hinsieht, erkennt man das Nichtmenschliche an ihnen - dann aber erkennt man auch das Menschliche. Schließlich werden sogar ihre Besonderheiten in unserer Spezies verortet: Haben die Replikanten eine geringe Lebensdauer, gibt es auch einen Menschen, der durch eine Krankheit schneller altert. Und so spiegelt sich nicht nur ihre Melancholie, sondern auch ihre Brutalität in dem alkoholkranken Rick Deckard, wenn dieser seine Macht über Rachel nutzt, um sie zu vergewaltigen. Mittels der Replikanten formuliert "Blade Runner" demnach unterschwellige Kritik an der Menschheit - die, die es sich leisten können, fliehen von der zugrunde gerichteten Erde und lassen die Armen sowie Kranken allein; die KIs hingegen kehren zu ihr zurück.

Wer noch auf der Erde ist, dem bleibt nichts anderes übrig, als von der Natur zu träumen. Diese hat in der dystopischen Zukunft von "Blade Runner" keinen Platz mehr; die Vorstellung von ihr ist ästhetisiert, ist mythologisiert. Ein filmischer Kontrast zur dreckigen Realität des Werkes, der dennoch eine eigene Ästhetik gewährt wird - kühle, raue Shots, kontinuierlich in zwei Farben aufgeteilt, oft nur untermalt von Straßenlärm oder Maschinengeräuschen. Und stets mit einer Sinnlichkeit versehen, die das Schöne im Hässlichen betont. Denn wie in den Replikanten findet "Blade Runner" auch in seinen Bildern und Ereignissen eine vielsagende Zweiseitigkeit, wenn dem Grausamen träumerische Melancholie innewohnt. Das genaue Hinsehen eben: Nicht umsonst zeigt der Film eine Szene, in der Deckard nach einem tieferen Sinn in einer Videoaufnahme sucht; eine klare Referenz an Zuschauende und das zugrundeliegende Medium.
Doppeldeutig ist demnach auch, dass Roy seinem Schöpfer die Augen ausdrückt. Schließlich sind sie die Schwachstelle der KIs, über die man sie entlarven kann. Ein wiederkehrendes Detail von zentraler Bedeutung.

Und so sind Roys letzte Worte ein melancholischer Monolog über seine Taten, über seine Erlebnisse - über das, was er gesehen hat:
"I've seen things you people wouldnt believe ... attack ships on fire off the shoulder of Orion ... I watched C-beams glitter in the dark near the Tannhäuser Gate. All those moments will be lost in time, like tears in rain ... time to die."
Es geht eben um das Sehen.

9 von 10 Enten.

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