Totenfest der Grausamkeiten
Letztes Abendmal im Vorhof zur Hölle. Wo die Tapete blutrot und die Ehefrau rachsüchtig ist. Wo der zu Tode gequälte Liebhaber schokoladebraun gekocht wird. Und dem brutalen Ehemann und Mörder als Menü vorgesetzt wird. Ein schwarzhumoriger Leichenschmaus. Ein Totenfest zynischer Grausamkeiten. Menü zelebrierter Unappetitlichkeiten.
Stammte es nicht von dem britischen Kinomagier Peter Greenaway, dieses große Fressen einer kannibalistischen Gangsterbourgoisie wäre nur peinlich. Doch so fasziniert das Unappetitliche. Provozieren die von Film zu Film extremer werdenden filmischen Obsessionen dieses Bildkünstlers, der hier eine düstere Unterwelt humorvoll in das künstliche Licht der Räume des Nobelrestaurants "Le Hollandais" taucht. Eine Unterwelt, in der Diebe, Gewalt und Eifersucht herrschen, Liebe fehlt, Lust am Essen, Sex und Tod regiert.
Hier gibt es keine Kompromisse. Kein Plastikhorror zum sanften Gruseln, kein Lauwarm. Hier tanzt die Phantasie auf würmerwimmelnden Kadavern, foltern Freß- und Rülpstheater, wühlen die Bilder in Exkrementen. Hier gibt es nur heiß oder kalt, gut oder böse, alles oder nichts. Man kann darin sehen, was man will. Man kann über Kulturgeschichte nachgrübeln. Oder darüber, was es mit Greenaways Farbarchitektur auf sich habe. Ob nicht Yuppies oder die Mafia sich im Dieb mit seiner Bande wiederfinden. Man kann an Buñuel denken oder an die Bibel.
Oder man denkt überhaupt nicht, verzehrt einfach dieses infernalische Gleichnis auf Kunst und Macht, Sexualität und Tod. Wie ein Zauberer plant Greenaway seine rätselhaften Spiele mit dem Zuschauer. Wie dieser in den Film hineinschaut, so blickt es zurück: lustvoll, sexverklemmt, morbid, kritisch, nekrophil, verwesungsstinkend oder sadistisch. So, als halte Greenaway jedem einzelnen von uns einen Spiegel vor. Einen Spiegel aus der Hölle.
In seinem Film führt Greenaway vier Räume in vier Farben vor: Blau für den Parkplatz vor dem Restaurant, Grün für die Küche, Rot für den Speisesaal und Weiß für den Waschraum. Unmöglich festzustellen, von welcher Farbe Georginas Kleider sind, oder die von Jean-Paul Gaultier entworfenen Kostüme der Bande Albert Spicas. Auf dem Parkplatz scheinen sie blau, in der Küche grün, im Speisesaal rot und im Waschraum weiß. Nur das Schwarz bleibt überall schwarz, die Abwesenheit von Licht.
Peter Greenaway hat also diesmal einen Spielfilm gedreht (was bei ihm keine Selbstverständlichkeit ist). Einen Freßfilm, dem das Fressen widerlich ist. Canard à l'orange oder Cuisses de grenouille, ausgeschissen tut sich das nichts. Die Sprache verrät es. French soll es sein. Keiner der früheren Filme Greenaways hat seinen Kulturpessimismus so zum Äußersten getrieben wie dieser. Auch vor Kannibalismus schreckt das Regie-enfant terrible diesmal nicht zurück.
Die gequälte Georgina gelingt es zum Schluß, den hemmungslosen Albert zu vernichten, indem sie ihn dazu bringt, das letzte Tabu zu brechen und zum Kannibalen zu werden. "I'll kill him and I'll eat him", hatte Albert mit Messer und Gabel fuchtelnd gebrüllt, nicht ahnend, daß er die Drohung, die dem Liebhaber seiner Frau galt, würde wahr machen müssen. "Iß seinen Penis", fordert Georgina Albert auf, "du weißt, wo er gesteckt hat". Liebe ist in diesem Film bloß körperlich, unerotisch, illusionslos.
Am letzten Abend des Cinemascope-Gelages findet sich der Körper von Gerginas getötetem Liebhaber, kulinarisch aufbereitet, auf der Tafel des Diebes Albert wieder. "Jesus!" entfährt es dem entsetzten Dieb. "It's not God, Albert", erwidert Georgina, "it's Michael. Wohl der zweifelhafte Höhepunkt einer unvergesslichen Freßorgie.
Fazit: Nichts für zarte Gemüter. Der Koch (der Beobachter, der alles im Gleichgewicht hält ), der Dieb (der den Einklang stört), seine Frau (die eine symbiotische Welt repräsentiert ) und ihr Liebhaber (der die dringend notwendige Veränderung bringt) ist ein gelungenes Rachedrama mit eindringlicher Tiefe. Der Film zieht einen in seinem Bann und ist irgendwo am Ende des zweiten Drittels zu sehr mit sich selbst beschäftigt um dann noch einmal richtig aufzutrumpfen. Peter Greenaway's Meisterwerk ist ein Festmahl für Feinschmecker und gleichzeitig so ekelerregend, dass man zum Brechreiz neigt. - Bon Appétit!