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Gertschi

Kritik von Gertschi

"Gooble Gobble , one of us , one of us !"

Monster und Monströsitäten gelten in unserer aufgeklärten Zeit fast schon nicht mehr als Horrorfaktoren. Ein Gutsverwalter bezeichnet am Anfang von Tod Brownings "Freaks" die Zirkusfreaks, also die 'Launen der Natur' , als 'Monströsitäten, die bei der Geburt getötet werden sollten'; der Film legt alles daran, dieser Einstellung schnellstens zu wiedersprechen. "Freaks" wird zu unrecht als einer der unangenehmsten Horrorfilme aller Zeiten betrachtet (und verleumdet), und ist immer wieder vielen Kürzungen und Zensurstreitereien unterworfen worden. Kann sein, daß er früher physisch abstoßender gewirkt hat, denn im Vergleich zu Schaubudenattraktionen enthielt er sicher das, was man 'hard core'-Beispiele grotesker Freaks nennen könnte.

Hier eine Auflistung der Darsteller, wie es sie so niemals mehr in der Filmgeschichte gegeben hat:

Daisy & Violet Hulton , die siamesischen Zwillinge
Johnny Eck, der junge Mann ohne Unterleib
Angelo Rossito, ein Zwerg (bekannt auch aus anderen Horrorfilmen)
Olga Roderick, die bärtige Lady
Pete Robinson, das lebende Skelett
Schlitzie, Elvira & Jennie Lee Snow, die Nadelköpfe
Zip & Pip, Elizabeth Green, die Vogelköpfe
Koo Coo, das Vogelmädchen
Martha Morris, das Turtle Girl
Frances O'Connor, armloses Mädchen
Randian, ein Torso ohne Arm und Bein

Erst der letzte Akt des Films, eine wahrhaftige Alptraum-Sequenz, rechtfertigt seine Klassifikation als Horrorfilm. Aber das Hauptproblem bei "Freaks" lag immer in der übertriebenen Reaktion auf das, was man über den Film gelesen oder gehört hatte. Wer "Freaks" zum ersten Male sieht, ist automatisch in der Defensive, entschlossen, sich von dem, was er sehen wird, nicht abstoßen zu lassen; man sitzt unbeweglich da und bereitet sich darauf vor, sich in seinen Gefühlen nicht erschüttern zu lassen. Und obwohl die Schocks nicht kommen (zumindest nicht von den Freaks), ist es zu spät, eine andere Haltung einzunehmen, und der kurze Film ist vorbei, ehe man sich angepaßt hat. Wenn man ihn allerdings ein zweites Mal sieht, findet eine wundersame Verwandlung statt: Fast vom ersten Moment an strahlen die eher kindlichen, gar nicht bedrohlichen Freaks eine überraschende Wärme aus. In dem Film geht es um ihre Welt, und die normalen Menschen sind es, die zu Außenseitern werden.

Dabei sind die normalen Schurken (Olga Baclanova und Henry Victor) sicher so widerlich und fast obszön, daß man sich auf ihre Bestrafung durch die Freaks schon regelrecht freut, und wenn diese dann wirklich kommt, ist das Abreagieren gebilligter Gewalt fast ebenso spektakulär wie in dem viel jüngeren Film "Straw Dogs" von Sam Peckinpah. Abgesehen davon, daß es Tod Brownings wärmster und humanster Film ist, ist es auch in rein filmischer Hinsicht einer seiner besten, und interessanterweise wirft er die Struktur fast aller seiner anderen Filme über den Haufen.

Von Anfang an steuert "Freaks" zielstrebig auf den ersten Höhepunkt zu (die bizarre Hochzeit zwischen der Trapezkünstlerin und dem Liliputaner, bei der die Freaks auf ihr Wohl trinken und singen, sie sei nun 'eine von uns, eine von uns!'). Anstatt nun sein Tempo zu drosseln, strebt der Film in erneut rasantem Rhythmus auf seinen Schlußhöhepunkt zu. Anders als die meisten Höhepunkte bei Browning ist es hier ein optisches, hauptsächlich im Freien stattfindendes Finale.  Was die Alptraum-Atmosphäre betrifft (der Zirkuswagen nachts in einem Gewitter; der Bösewicht, der Held und Heldin ermorden will; die Freaks, die - erhellt von zuckenden Blitzen - durch den Schlamm zu Hilfe eilen), ist die Sequenz reinstes Grand Guignol, doch mit einer interessanten Mischung aus Realismus und Phantastischem.

Bei den finalen Szenen mit den Freaks wird dann schlußendlich mehr Wert auf ihre Schockaufnahmen gelegt. Ein Torso ohne Arme und Beine, der sich mit seinem Messer zwischen den Zähnen durch den Schlamm windet, ist, realistisch betrachtet, nicht sehr gefährlich, und es ist nicht zu verstehen, warum es die trainierte und langbeinige Olga Baclanova nicht schafft, ihren winzigen oder gehandikapten Verfolgern bei der Jagd durch den Wald davonzurennen. Doch auch die allerletzte Szene - die Umwandlung der Baclanova in eine beinlose 'Henne' - ist schließlich mehr Alptraum als Logik, und der Film blendet sinnvollerweise über einem Schock aus, nicht über einer Erklärung.

Fazit: Browning’s "Freaks“ hat es verdient entdeckt zu werden und sollte nicht nur für Filmfans von Interesse sein. Ein Stück wertvoller Kinogeschichte, das heute immer noch aktuell ist

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