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Monroe

Kritik von Monroe

Fragmentierte Wahrheit. Die innovative Erzählstruktur in Strange Darling (J.T. Mollner, 2023)

Einleitung

J.T. Mollners Strange Darling (2023) ist ein Thriller, der auf den ersten Blick bekannte Genremuster aufgreift: eine Begegnung zwischen einem Mann und einer Frau in ländlicher Umgebung, die sich zu einem tödlichen Katz-und-Maus-Spiel entwickelt. Doch die wahre Innovation des Films liegt nicht in der Geschichte selbst, sondern in der Art, wie sie erzählt wird.

Die Handlung wird in sechs Kapiteln und einem Epilog präsentiert, wobei die Kapitel bewusst nicht chronologisch angeordnet sind. Dadurch entsteht ein narratives Puzzle, das Erwartungen unterläuft, Identitäten verschleiert und Spannung auf einer strukturellen Ebene erzeugt. Ziel dieser Arbeit ist es, die Funktionsweise dieser Erzählstruktur zu analysieren, ihre Wirkung zu erklären und sie im Kontext filmischer Erzähltheorie und Genre-Subversion zu verorten.

Thesen:

  1. Die nicht-lineare Kapitelstruktur von Strange Darling erzeugt Spannung primär durch die Reihenfolge der Enthüllungen, weniger durch die Handlung an sich.

  2. Diese Struktur ermöglicht eine radikale Umkehrung von Genre- und Geschlechtererwartungen, indem Opfer- und Täterrollen erst verspätet sichtbar werden.

  3. Gleichzeitig birgt die Fragmentierung auch Risiken für Charaktertiefe und emotionale Bindung, da der Fokus auf Rätselhaftigkeit den psychologischen Realismus reduziert.

1. Erzählstruktur als filmisches Gestaltungsmittel

1.1 Narratologische Grundlagen

In der Narratologie wird zwischen story (die chronologische Abfolge der Ereignisse) und plot (die konkrete Anordnung der Ereignisse in der Erzählung) unterschieden (Chatman 1978). Nicht-lineares Erzählen verändert also nicht den Kern der Handlung, wohl aber die Wahrnehmung und Deutung durch das Publikum.

1.2 Kapitelaufbau in Strange Darling

Der Film ist in sechs Kapitel plus Epilog unterteilt. Die Abfolge lautet 3 → 5 → 1 → 4 → 2 → 6 → Epilog. Damit verschiebt Mollner die Dramaturgie: Rückblicke erscheinen später, vermeintliche Fluchtmomente stehen am Anfang, und zentrale Enthüllungen werden verzögert.

2. Wirkungen der nicht-linearen Struktur

2.1 Erwartungssteuerung und Suspense

Durch den Einstieg in eine Szene der Flucht (Kapitel 3) wird sofort Spannung erzeugt, ohne dass Kontext vorliegt. Diese gezielte Informationslücke entspricht dem Prinzip des „narrativen Rätsels“ (Bordwell 1985), das den Zuschauer zum Mitdenken zwingt.

2.2 Emotionaler und ästhetischer Rhythmus

Die Abfolge erlaubt starke Kontraste: Intime, ruhige Momente wechseln abrupt mit Gewalt- und Verfolgungsszenen. Die Struktur wird so selbst zum dramaturgischen Motor, der den emotionalen Rhythmus bestimmt.

3. Vergleich zu linearen Erzählmodellen

In linearen Thrillern wird Spannung vor allem durch die Frage „Was passiert als nächstes?“ aufgebaut. In Strange Darling verschiebt sich diese Frage zu „Wann und wie erfahre ich, was wirklich passiert ist?“.

Diese Erzählweise erinnert an nicht-lineare Klassiker wie Pulp Fiction (1994), jedoch mit einem entscheidenden Unterschied: Während Tarantino Fragmentierung zur Stil- und Referenzebene nutzt, ist sie bei Mollner zentraler Bestandteil der Figurenwahrnehmung. Die Struktur selbst thematisiert Täuschung, Macht und Kontrolle.

.Ästhetische Umsetzung

Die nicht-lineare Struktur wird durch ästhetische Mittel gestützt:

  • 35 mm-Film verstärkt die Körnigkeit und verleiht eine Retro-Atmosphäre, die an Exploitation- und 70er-Jahre-Thriller erinnert.

  • Farbkodierung (Rot, Blau, Neonlicht) dient der Orientierung in der fragmentierten Zeitstruktur.

  • Ton und Musik verstärken den Kontrast zwischen Kapiteln, indem sie ruhige Intimität und gewalttätige Eskalation akustisch trennen.

Schluss

Strange Darling zeigt, wie stark Erzählstruktur als eigenständiges Stilmittel wirken kann. Durch die nicht-lineare Kapitelordnung wird ein einfacher Thriller zu einem narrativen Puzzle, das Erwartungen steuert, Perspektiven verdreht und Identitäten neu ausrichtet.

Der Film demonstriert, dass Spannung nicht allein aus Handlung entsteht, sondern aus der Frage nach dem Wie der Erzählung. Damit reiht sich Mollner in eine Tradition experimenteller Erzählweisen ein, verschiebt aber den Fokus.




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