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StrykeOut

Kritik von StrykeOut

Gesehen: Juni, 2019

Regisseur Peter Jackson versucht mit "They Shall Not Grow Old", seiner Dokumentation über den Ersten Weltkrieg, vor allem eins: Vertrautheit und Identifikation beim Zuschauer zu wecken. Die Message, um die es Jackson geht, ist offensichtlich: Diese Menschen, die Soldaten des Ersten Weltkrieges, waren genau wir.

Um diese Botschaft an den Mann zu bringen setzt er zum einen auf eine technische Generalüberholung. Die kleinformatigen Schwarz-Weiß-Bilder des Imperial War Museums werden farbenfroh koloriert, bombastisch nachvertont und in die dritte Dimension konvertiert. Häufig wird in Kritiken von "Restauration" gesprochen, Manipulation trifft es aber eigentlich eher. Es ist ein digitaler Zaubertrick, der uns Historizität und Wahrheit vorgaukelt, in Wirklichkeit aber historisches Archivmaterial verfremdet, frei interpretiert und vor allem völlig entkontextualisiert. Wo und wann entstanden die Bilder, die wir sehen? Sind sie gestellt oder natürlich? Wer hat sie zu welchem Zweck aufgenommen? Auf all diese Fragen gibt uns der Film keine Antowort, stattdessen versucht er uns mitzureißen in seiner Bilderflut und in seiner stringenten - und das muss man ihm lassen - meisterlich montierten Narration.

Und diese Narration ist der zweite Trick, mit der Jackson versucht, den modernen Zuschauer für den angestaubten Ersten Weltkrieg zu interessieren. Anhand verschiedener Tonaufnahmen von Veteranen des Krieges kostruiert "They Shall Not Grow Old" eine universelle, kollektive und gemeingültige Kriegserfahrung. Es gibt keinerlei Widersprüche unter den pausenlos aus dem Off sprechenden, stets gesichts- und namenlosen Stimmen. Für Dissens oder Diversität ist offensichtlich kein Platz. Kein Soldat der Mittelmächte kommt zu Wort. Keiner aus den britischen Kolonien. Kein Australier, der an den Stränden Gallipollis von seinen englischen Offizieren verheizt wurde. Niemand der blind oder verkrüppelt aus dem Krieg heimgekehrt ist. Niemand der am Krieg zerbrochen ist. Nein, der Krieg wird hier nur von weißen, patriotischen Briten erzählt, die den Krieg überlebt und keinerlei psychischen oder physischen Wunden davongetragen haben. In meinen Augen ist es fahrlässig, wie unkritisch und undifferenziert hier eine ganz spezifische Perspektive eingenommen und zur universellen Sicht auf den Krieg erhoben wird.

Zumal es auch hier keinerlei Kontext gibt. Wann diese Tonaufnahmen entstanden sind, wer gerade spricht und über welche Schlacht an welchem Ort? Offenbar unwichtig. Es wird aneinandergeschnitten, was ins Narrativ passt. Und dieser Umgang mit Geschichte ist das, was mich an "They Shall Not Grow Old" so sehr stört: Der Erste Weltkrieg ist ein enorm komplexes, wahnsinnig einflussreiches Ereignis, das sich aus unzähligen unterschieldichen aber gleichsam wichtigen Perspektiven, Schauplätzen, politischen und gesellschaftlichen Strömungen und Sub-Ereignissen zusammensetzt. Das Wissen und die Quellen über dieses Ereignis bewusst so weit zu reduzieren, glattzubügeln, zu verschweigen und zu verbiegen, dass es ins eigene unterkomplexe Narrativ passt, ist nah dran an der Geschichtsfälschung und noch näher am unsäglichen Histotainment eines Guido Knopp. Warum dieses von der Fachpresse (zurecht) zerissen wurde, während "They Shall Not Grow Old" überall gelobt wird, verstehe wer will...

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