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Biennale 2021 - ein Abschlussbericht

PatrickFey

Von PatrickFey in Biennale 2021 - ein Abschlussbericht

Biennale 2021 - ein Abschlussbericht Bildnachweis: © La Biennale di Venezia

Nachdem mit Venedig nun auch das letzte der drei großen europäischen Film-Festivals hinter sich gebracht wurde, erscheint es durchaus sinnvoll, ein Resümee zu ziehen: Was wurde uns da dieses Jahr auf dem venizianischen Lido eigentlich so präsentiert? Und wie schneidet Venedig im Vergleich mit seinen beiden Wettbewerben, Berlin und Cannes, ab?

Ohne größere Abstriche hat es die Biennale, auch dank der günstiggelegenen Termininierung im Spätsommer, durch die COVID-19-Pandemie geschafft. Als einziges der großen fünf Film-Festivals ist man ohne Hybrid-Kompromiss ausgekommen, musste nicht via E-Mail Journalist*innen darum bitten, zu Hause zu bleiben, wie zuletzt aus Branchennkreisen über das Toronto International Film Festival (TIFF) zu hören war. Ein Film-Festival, das ist immer mehr als nur ein volles Programm internationaler Filme, die zumeist Welt- oder zumindest Kontinentalpremiere feiern. Denn fällt es aus, dann muss sich die Direktion an den Rücklagen vergreifen, die über Jahre und gar Jahrzehnte zusammengespart wurden. In Cannes wird man ein Lied davon singen können, musste man sich im Rahmen der Absage 2020 doch plötzlich journalistischen Fragen stellen, warum man denn keine Versicherung gegen Ausfälle solcher Art abgeschlossen habe. Noch weitaus schwerwiegender traf es das „South by Southwest“-Festival (SXSW) in Austin, Texas, das neben seiner Film-Sektion auch noch die Musik- und Entertainmentindustrie versammelt und dessen Ausfall aufgrund der ausbleibenden Tourismuseinnahmen eine ganze Region aufs Schwerste belastet. Nun haben wir es in Venedig mit einem Ort zu tun, der Zeit seiner zunehmend gefährdeteren Existenz niemals Probleme haben wird, Tourist*innen anzuziehen, ist die Lagunenstadt doch selbst, mit oder ohne Biennale, ein malerisches Wunder.

Doch während der Pandemie ging es 2020 mit den Filmfestspielen von Venedig – im Großen und Ganzen – weiter wie gewohnt, dopppelt glücklich konnte man sich also nicht nur ob der Austragung schätzen, sondern auch, da mit Nomadland der spätere Oscar-Gewinner seine Weltpremiere in Italien feierte, der mit dem Gewinn des Goldenen Löwen seine Festivalkampagne einleitete. Im Jahr 2021, so viel darf bereits verraten sein, wird sich dies nicht wiederholen, hat sich die Jury um Präsident Bong Jon-hoo (Parasite) doch für das französische Sozialdrama L’Événement entschieden, einer Adpation Audrey Diwans des gleichnamigen Romans Annie Ernaux‘. Bemerkenswerterweise können wir in dem Gewinn Audrey Diwans durchaus eine Parallele zum diesjährigen Wettbewerb von Cannes erkennen, wo es mit Julia Ducournau ebenfalls eine Französin war, die mit Titane den Hauptpreis des Festivals für sich gewinnen konnte. Auf den ersten Blick erschöpfen sich in dieser Feststellung bereits die Gemeinsamkeiten beider Gewinnerfilme, ist doch Diwans Abtreibungsgeschichte, basierend auf einer autobiografischen Episode aus dem Leben Annie Ernaux‘, viel reduzierter in seiner Inszenierung als Ducournaus neonfarbener Fiebertraum. Was beiden Filmen indes gemein ist, ist die Betonung des Körperlichen. Sowohl Ducournau als auch Diwan versuchen sich an einem Kino, das es seinen Zuschauer*innen in seinen intensivsten Momenten schlicht nicht gestattet, zum Gesehenen in Distanz zu treten, ein Kino, das im Publikum Phantomschmerzen auslöst und sich gleichermaßen an einer intimen Charakterstudie versucht. Mit der Kührung L'Événements unterbricht Bong Jon-hoo zudem zumindest vorerst die Prädominanz Hollywoods in Venedig, schließlich hatten zuletzt mit The Shape of Water (2017), Roma (2018), Joker (2019) und eben Nomadland (2020) ausschließlich mehr oder minder arrivierte Hollywood-Regisseur*innen den Goldenen Löwen in die Höhe strecken dürfen. Die Kunst allerdings hat dieses Jahr nur in äußerst geringen Dosen ihren Weg aufs venezianische Lido gefunden.

Das Fernseh-Festival

Jedes Jahr ist ein gutes Filmjahr. Das beginnt zu begreifen, wer sich nur einmal von der Vorstellung verabschiedet hat, die Oscar-Nominiertenliste, die traditionell den Schlusspunkt einer Award-Season bildet, für eine Jahresbestenliste zu halten. Anders hingegen verhält es sich mit dem Programm eines Filmfestivals. Niemals wird sich die Chance ergeben, das Programm eines Festivals in seiner Gesamtheit zu sehen, bis in die kleineren Nebensektionen hinein, allerdings ist es zweifelsohne möglich, die 15 bis 25 Filme des Hauptwettbewerbs zu sehen, die einem nach der Sichtung erlauben, ein übergreifendes Urteil über die Qualität des Jahrgangs zu fällen. Würde man also nach einer Auskunft über die Qualitäten des Filmprogramms der 78. Biennale gefragt, so ließe sich doch kaum damit hinter dem Berg halten, dass wir es dieses Jahr, insbesondere im Vergleich mit Berlin und Cannes, mit einem, gerade in der Spitze, ausgesprochen schwachen Jahrgang zu tun haben.

Allerhand Netflix-Filme gab es in Venedig zu sehen, zum einen, weil man sich in Cannes aufgrund der Auswertungspolitik beispielsweise gegen Jane Campions The Power of the Dog entschied, zum anderen aber auch, weil der Streaming-Gigant in den letzten Jahren mit Noah BaumbachMarriage Story und Roma bereits beste Erfahrungen in Venedig machte. Campions erster Film seit zwölf Jahren, eine Adaption des gleichnamigen Thomas-Savage-Romans über einen ostentativ-hypermaskulinen Cowboy im Montana der 1920er Jahre, zu einer Zeit, da der Cowboy längst Mythos geworden ist, ist leider ausgesprochen belangslos geworden. Wie so viele Filmschaffenden der letzten Jahre arbeitet sich auch Campion am Thema toxischer Maskulinität ab, schafft es allerdings nicht, der vielfach durcherzählten Konstellation, wonach besonders jene Männer, denen das klassische maskuline Rollenbild stark zuwiderläuft, sich umso störrischer an jenes festklammern, irgendetwas hinzuzufügen, das sich eigenständig anfühlt. Hinzu kommt die furchtbar scharf-durchdesignte Digitaloptik, die all der ästhetischen Brillanz entgegenläuft, die noch Campions „Palm d’Or“-Gewinner The Piano auszeichnete.

Ästhetisch ähnlich wenig ambitioniert, aber zumindest erzählerisch und thematisch weitaus couragierter kam da schon Pedro Almodóvars Parallel Mothers daher, der ebenfalls durch Netflix mitfinanziert wurde und mit dem Almodóvar das Prosaische der Telenovela mit dem Überzeitlichen des Spanischen Bürgerkrieges verbindet. Dass die Gestaltung des Abspanns dieses digitalen Films, für den Penélope Cruz den Coppa Volpi, den Preis für die beste Darstellerin, gewinnen konnte, an eine Filmrolle anspielt, sei dem Spanier an dieser Stelle verziehen. Wenig verzeihlich ist allerdings der generelle Eindruck, den das Festival mit jedem weiteren Film nur zu untermauern schien. Selbst Dune, Denis Villeneuves‘ großer, mit Spannung erwarteter Blockbuster, erinnert, trotz allen Bombasts, den er auf auf die Leinwand und in die Wagschale wirft, in seiner funktionalen und erwartbaren Erzählweise an einen Pilotfilm einer Serie, ganz so, als hätte man nun lediglich etabliert, was in der Folge dann als selbstverständlich, dem Publikum vertraut, behandelt werden kann. Auf ihre ganz eigene Weise sorgten auch die mit großer Vorfreude erwarteten Last Night in Soho von Edgar Wright (Scott Pilgrim vs. the World) und Ana Lily Amirpours (A Girl Walks Home Alone at Night) Mona Lisa and the Blood Moon für Enttäuschung. Bemerkenswerterweise kommen beide in ähnlich kitschig-bunten Farben daher, was ungewollt passend die naiv-unbeholfene Erzählweise akzentuiert, die sich so stark an den Genreregeln orientiert, dass sie vergisst, die Eigenständigkeit hervorzuheben.

So vieles wirkte dieses Jahr gar normgerecht gefilmt, so auch Erik Mattis dreieinhalbstündiger philippinischer Krimi On the Job 2: The Missing 8 über einen korrupten, von der Politik gekauften Journalisten, den wir über die Laufzeit hinweg dabei begleiten, wie er allmählich seine Ideale wiederentdeckt, die ihn einst zum Job brachten. In Anspruch und Laufzeit kommt diese Fortsetzung einem Gangster-Epos Martin Scorseses gleich, in der Ausführung hingegen bekommen wir das, was draufsteht: eine Prosuktion von HBO-Asia in vergessenswertestem TV-Look. Wie so viele Filme dieser Biennale ist auch dieser nicht per se schlecht, aber er lässt das vermissen, was gleichzeitig mit großer Leichtigkeit zu identifizieren ist, wenn sie fehlt, bisweilen jedoch schwierig ist, zu beschreiben, wenn man auf sie trifft: eine eigene Bildsprache.

Die verhaltenen Lichtblicke

Wie Pedro Almodovar, der vor zwei Jahren mit Leid und Herrlichkeit eine ungemein intime, autofiktionale Geschichte erzählte und ebenso in Tradition zu , der ein Jahr zuvor mit seinem oscarprämierten Roma ein ganz ähnliches Projekt verfolgte, das bis heute einen der größten Erfolge des Streaming-Anbieters Netflix bei den Academy Awards darstellt, hat man beim Branchenriesen unter der Leitung Reed Hastings‘ und Marc Rudolphs nun auch Paolo Sorrentino (La Grande Belezza) die finanziellen Mäglichkeiten für ein weiteres Prestigeprojekt eingeräumt, die eigene Jugend in filmischer Form aufzuarbeiten. The Hand of God heißt dieser Film, der mit dem großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde und sich an den jungen Jahren des in Napoli großgewordenen Sorrentino orientiert. Auf mutige Weise zwischen den Genres changierend entwickelt sich The Hand of God binnen 130 Minuten von einer vulgären Komödie zu einem an den Bildungsroman erinnernden Coming-of-Age-Drama.

Auf ähnliche Weise überzeugen konnte Pablo Larraíns (Jackie) Spencer, das sich in den Geist Prinzessin Dianas während eines Weihnachtsfestes der royalen britischen Familie imaginiert, sich aber weit genug von Biopic-Erwartungen distanziert, um einen introspektiven Blickwinkel auf die Geschichte herauszuarbeiten und dies der Maschinerie aristokratischer Gepflogenheiten gegenüberstellt. Jan P. Matuszyński arbeitet im starken Kontrast dazu mit Leave No Traces einen historischen Fall von Polizeigewalt im sojwetischen Polen der 1980er auf und bietet gleichsam niederschmetterndes wie effektives Erzählkino auf grobkörnigem Film. Wie On the Job 2: The Missing 8 erzählt auch Matuszyński von Korruption und stellt dem dem System ausgelieferten Einzelnen das Krisenmanagement des Big Brother gegenüber. Gleichzeitig schimmern hier Parallelen zur heutigen Zeit durch, wenn wir etwa beobachten, wie wichtige Vertreter*innen des Regimes angesichts der großen Menschenscharen, die es im Protest gegen die Polizeigewalt auf die Straße zog, die Zahl jener Menschen auf der Straße nicht anerkennen wollen, ganz ähnlich, wie man innerhalb der letzten Jahre miterleben konnte, wie rechte Parteien und Politiker*innen die Zahl der Oppositionellen, gern auch bis in die Ungläubigkeit hinein, klein- und jene der eigenen Anhänger*innen großzureden versuchten (das prominenteste Beispiel hierfür lieferte sicherlich Donald Trump am Tag seiner Inauguration als Präsident im Januar 2017). Ergänzend dazu bieten beide Filme zusätzlich eine Medienreflektion innerhalb eines korrupten Systems an, ein Element, das Xavier Giannolis gleichnamige Adaption des Balsac-Romans Illusions Perdues auf ungleich extensivere und weitaus humoristische Weise thematisiert und das übergeordnet als eines der übergreifenden Themen des Festivals gesehen werden kann.

Filme, die herausstachen aus dem Gros an mittelprächtigen Fernsehfilmen waren darüber hinaus Paul Schraders The Card Counter, das einen Oscar Isaac in Bestform präsentiert, der, wie so viele andere Schrader-Figuren, versucht, die Fehler (oder gar Sünden) der Vergangenheit mit der zwangsläufigen Existenz in der Gegenwart in einen produktiven Dialog zu überführen, zumindest da, wo die Versöhnung verloren scheint. Die Präsenz der Vergangenheit in der Gegenwart ist indes offenkundig ein Thema, das derzeit zweifellos en vogue erscheint, und das sich wie in Almodóvars auch in Maggie Gyllenhaals Debütfilm The Lost Daughter wiederfindet, einer abermaligen Literaturverfilmung, hier des gleichnamigen Romans der italienischen Ausnahme-Schriftstellerin mit dem Pseudonym Elena Ferrante. In einem äußerst vielversprechenden Debüt, das im 4:3-Format und unverwechselbarer Tonalität daherkommt, begleiten wir die idiosynkratische, von der hervorragenden Olivia Colman gespielte, Literaturprofessorin Leda während ihres Griechenlandurlaubs, und wie sich diese durch die unverhofften Turbulenzen des Urlaubsalltags an folgenreiche Entscheidungen ihrer Mutterschaft erinnert. „Regretting Motherhood“, ein Konzept, das erst seit der gleichnamigen Studie der israelischen Soziologin Orna Donath in den breiteren Diskurs gelangte, scheint als noch immer besonders tabuisiertes Thema Gyllenhaal besonders beeinflusst zu haben.

Auf gänzlich andere Weise stach zudem Teemu Nikkis The Blind Man Who Did Not Want to See Titanic heraus, der schon in seinen Opening Credits andeutete, dass er diese Geschichte über einen blinden Mann im mittleren Alter, der wegen einer MS-Erkrankung im Rollstuhl sitzt, anders erzählen will. In jenen Opening Credits, die in Brailleschrift daherkommen und von einer weiblichen Computerstimme via Audiodeskription vorgetragen werden, lässt sich das bereits erahnen, was sich Nikki in seinem Film, der als sozialrealistische Romanze beginnt und dann plötzlich in Thrillergefilde abbiegt, vorgenommen hat: sich der erfahrbaren Welt von Menschen, die unter fundamental anderen Lebensumständen als der Großteil des Kinopublikums lebt, anzunähern

Die großen Drei im Vergleich

Was Venedig in der Breite aufzubieten wusste, ging dem Festival in der Spitze gänzlich ab. Mit Dune durfte man die Weltpremiere des womöglich größten Blockbusters des Kinojahres ausrichten, und mit The Power of the Dog, für den Jane Campion den silbernen Löwen als beste Regisseurin gewann, hat man mit Benedict Cumberbatch einen frühen Anwärter für den Oscar als bester Hauptdarsteller im kommenden Frühjar. Die Kunst ist dem allen jedoch weitestgehend ferngeblieben. Im direkten Vergleich mit den beiden anderen großen europäischen Film-Festival ist der 78. Biennale die Spitze verloren gegangen. Konnte Berlin mit, aus unterschiedlichsten Gründen, waghalsigen Filmen wie Radu Judes mit dem Goldenen Bären ausgezeichneter Bad Luck Banging or Loony Porn, Maria Speths Herr Bachmann und seine Klasse oder Dominik Grafs Fabian oder der Gang vor die Hunde aufwarten und brachte die Spike-Lee-geführte Jury von Cannes Julia Ducournaus Titane mit der Auszeichnung der Palm d’Or ins Rampenlicht der internationalen Filmwelt, so muss, auch mit Blick auf den Gewinner des Goldenen Löwen, L’Événement, einem dringlichen wie intensiven Sozialdrama, der jedoch niemals ganz der Größe eines Gewinnerfilms gerecht wird,  konstatiert werden, dass Venedig dieses Jahr eine ganze Reihe sehenswerter Filme hervorgebracht, in der Spitze jedoch eine Leerstelle lässt, die es im nächsten Jahr gilt auszufüllen gilt. Dann auch hoffentlich wieder unter redaktioneller Begleitung durch Moviebreak.

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