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Quelle: themoviedb.org

Inhalt

Im Jahr 1963, zu einer Zeit, da Abtreibungen in Frankreich noch illegal sind, gerät die Schülerin Anne unverhofft schwanger. Ihre Bemühungen, den Fötus abzutreiben, geraten äußerst kompliziert, denn niemand bietet ihr freiwillig Hilfe an, möchte sich doch niemand der Beihilfe schmutzig machen.

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Quelle: themoviedb.org

Kritik

Eine Serie durchbrach Audrey Diwan (Losing It) mit ihrem Abtreibungsdrama L’événement bei der 78. Biennale von Venedig. Nach The Shape of Water, Roma, Joker und Nomadland konnte erstmals seit Lav DiazThe Woman Who Left aus dem Jahr 2016 wieder ein Film ohne Hollywood-Beteiligung den Goldenen Löwen des ältesten Film-Festivals der Welt gewinnen. Die Adaption des gleichnamigen Romans Annie Ernaux‘ basiert wie das gesamte Werk Ernaux‘ auf realen Erfahrungen der französischen Schriftstellerin und rückt mit der Geschichte ihrer Abtreibung im Frankreich der 1960er Jahre ein besonders düsteres Kapitel sowohl ihres Lebens als auch ihres Œuvres in den Mittelpunkt. Düster vor allem deshalb, da das französische Recht dieser Zeit Abtreibungen noch unter Strafe stellt und die jugendliche Protagonistin Anne (herausragend gespielt von der noch recht unbeschriebenen rumänisch-französischen Anamaria Vartolomei (My Little Princess)) dazu zwingt, bestensfalls halbseidene Methoden zu finden, um sich des ungewollten Embryos, der sich mit jeder voranschreitenden Woche mehr zu einem Fötus entwickelt, zu entledigen.

Der Umstand, dass weiterhin Abtreibungsfilme gedreht werden, dass es ein ganzes Genre ihrer gibt, die sich in ihrer Tonalität auf bedeutsame Weise unterscheiden, stimmt auf widersprüchliche Weise traurig wie hoffnungsvoll, wenn auch nicht gleichermaßen. Traurig freilich, da die Menschheit in nicht allzu naher Zukunft nicht mehr in der Lage sein wird, Verständnis dafür aufzubringen, wie über Jahrhunderte hinweg die Selbstbestimmung von Frauen negiert, wie in einem patriarchalen System der weibliche Körper zur Disposition männlicher Werturteile gestellt wurde. Traurig des Weiteren, da wir, weder im Kino, noch in der politischen Landschaft (instantan schießt einem Artikel 219A des Strafgesetzbuches in den Sinn), erst bis aufs Frankreich der 1960er Jahre zurückblicken müssen, um jungen Frauen zu begegnen, die durch die jeweiligen Gesetzestexte (Never Rarely Sometimes Always) und soziokulturelle Hegemonialstrukturen (Lingui: The Sacred Bonds) der eigenen Selbstbestimmung beraubt werden. Hoffnungsvoll stimmt indes das bloße Sichtbarmachen dieser Geschichten und der Gedanke, dass Sichtbarkeit als solche schon den ersten Schritt hin zum Diskurs bedeutet, wie es auch positiv stimmt, dass es im heutigen Diskurs die sogenannten Abtreibungsgegner*innen sind, die sich ob ihrer Haltung rechtfertigen müssen, nicht jene, die der Mäglichkeit offen gegenüberstehen.

Ungleich düsterer wirkt im Kontrast dazu Diwans Einblick in eine Episode aus dem Leben der klugen sowie ambitionierten Anne, die sich, gemeinsam mit ihren Freundinnen, in der entscheidenden Phase ihres Bacs an der Lycée befindet und mit dem Kopf bereits an der Universität eingeschrieben ist. Tatsächlich gerät die Tochter aus einem Arbeiter*innenhaushalt mit dem biblischen Kreuz auf der Brust jedoch weit aus der Spur ihrer akademischen Ambitionen, als ihr eines Tages, nach dem Ausbleiben der Regel, klar wird, dass ihre Urlaubsaffäre längerfristigere Konsequenzen nach sich zieht, als man es einer flüchtigen Liebelei zugestehen wollen würde. Auf ungemein eindringliche Weise lässt uns Diwan daran teilhaben, wie eine solche Mitteilung nicht Umsicht und Solidarität hervorruft, sondern isoliert – ein Thema, das Diwan mit der Wahl des 4:3-Bildformats vermutlich nur noch zu unterstreichen sucht. Denn zu einer Zeit, da bereits zarteste Annäherungen an die Jungen während Tanzabende einem gesellschaftlichen Fehltritt gleichkommen, da geraten Gespräche über sexuelle Erfahrungen, selbst unter engen Freundinnen, zu einem Tabu. Umso niederschmetternder ist es, Anne dabei zu begleiten, wie sich diese immer weiter von ihrem Umfeld entfernt. Wie das seltene Taschengeld, das sie sich für ihre herausragenden schulischen Leistungen von ihren Eltern verdient und das sie normalerweise für ein neues Buch ausgeben würde und das nun für die Dienste eines vermeintlich hilfsbereiten Gynäkologen draufgeht.

Mit jeder Woche, die voranschreitet, gestaltet sich ihre Lage ein Stück mieserabler, und Diwan tut gut daran, dies mit der Kamera auf eine gleichzeitig furchtbar nahe und zugleich realistische Weise zu dokumentieren. Es mutet in der Tat seltsam an, die Studentinnen am Lycée über den Existenzialismus Sartres und Camus‘ diskutieren zu sehen, während die naheliegenden, drängenden Fragen unserer Gesellschaft, wie sie sich hier in Form von Abtreibung und Sexualität auftun, permanent unterdrückt werden, ganz, als habe die Aufklärung letztlich versagt, in alle Lebensbereiche vorzudringen. Auf diese Weise ist es besonders die Leerstelle, das, was niemand auszusprechen wagt, das umso schwerer auf Anne wiegt. Und so, wie sich Anne permanent auf der Suche nach Ansprechpersonen, vor allem aber schlicht nach Hilfe, befindet, so spiegelt Diwan diese Leerstelle auch auf bildlicher Ebene. Während der verschiedenen Stadien ihrer frühen Schwangerschaft, als sich Anne mehrfach auf verschiedene Weise größten Schmerzen aussetzt, glaubt sie wieder und wieder, nun endlich die richtige Methode gefunden zu haben, um sich des Dinges in ihrem Bauch zu entledigen. Doch all ihre Bemühungen beweisen sich als vergeblich. Bemerkenswerterweise erzählt Diwan diese Geschichte des Schmerzes jedoch durch das protagonistische Gesicht Annes. Wenn sich ihre Gesichtszüge unter den zunehmenden verzerren, so gelingt es Diwan, den Schrecken des Schmerzes durch dessen Ableitung zu evozieren – den Ausdruck, den der Schmerz auf dem Gesicht hinterlässt. Auf eindrückliche Weise wird uns hier ein unsagbar intensiver Film präsentiert, dessen Finale auf eine medizinische Einschätzung hinauszulaufen scheint, die die Existenz derer beeinflusst, die ihr ausgeliefert ist: Handelt es sich um eine justiziable Abtreibung oder eine juristisch unbedenkliche Fehlgeburt? Es gleicht letztlich einer bitteren Pointe, dass es nach all dem Leid, dem Schmerz und dem schlichten Durchhaltevermögen Annes von einer medizinische Einschätzung abhängt, wohin ihr weiterer Lebensweg verläuft.


Fazit

Mit L’événement gelingt Audrey Diwan ein Sozialdrama größter Eindringlichkeit, das auf produktiv-didaktische Weise den Zeitgeist der frühen 1960er Jahre in Frankreich einfängt und schonungslos die Leiden des Individuums ob eines oppressiven Systems aufzeigt, das in seiner Tendenz Isolation statt Solidarität herbeiführt.   

Kritik: Patrick Fey

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