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Cannes 2021

PatrickFey

Von PatrickFey in Cannes 2021

Cannes 2021 Bildnachweis: © Filmfestival Cannes

A très bientôt” – „Bis ganz bald“, so hatte es im März 2020 noch geheißen, als die prestigesträchtigen Film-Festspiele von Cannes im Zuge der COVID-19-Pandemie die Segel streichen mussten. Damals war die Festivalleitung um Direktor Thierry Fremaux noch davon ausgegangen, dass es sich bis zum Spätsommer schon noch ausgehen würde, was im Angesicht der Todeszahlen in Verbindung mit Corona-Infizierten schon zum Zeitpunkt der Aussage für Stirnrunzeln sorgte. Erstmals wurden zuvor nicht für möglich gehaltene Szenarien diskutiert: Hätte das Festival sich gegen eventuell auftretende Pandemien versichern lassen sollen? Und wie groß sind die finanziellen Rücklagen tatsächlich, die sich das Festival für Notfälle solcher Art angespart hat? Wie sich jedenfalls zeigte, sollte es sich trotz eines generell unbeschwerteren Sommers 2020 nicht ausgehen. Stattdessen wurde das Festival von Cannes erstmals seit 1950 abgesagt, was, mit Ausnahme der Protestbewegungen von 1968, im Zuge dessen das Festival auf halber Strecke abgesagt wurde, einer Zäsur gleichkamt. Damals, sich ob der Vulgarität eines solchen Luxusevents zu Zeiten von Arbeiter*innenstreiks mit protestierenden Studierenden und Arbeiter*innen solidarisierend, forderten die anwesenden Jean-Luc Godard and François Truffaut als “Cinémathèque Defence Committee“ ohne große Umschweife das Ende des Festivals ein – eine Forderung, die die Vertreter*innen der Presse sowie Filmindustrie durchaus spaltete, der aber letztlich nachgekommen wurde.

Beinahe ist man daher geneigt zu sagen, dass es schon einer Pandemie bedurfte, um das Treiben an der Côte d'Azur zu einem Halt zu bringen. Und wenngleich die Pandemie eine Pause des weithin als bedeutendstes der „großen Fünf“ (Cannes, Berlin, Venedig, Toronto, Sundance) angesehenen Festival de Cannes erzwang, nominell kam auch das Jahr 2020 nicht ohne den Branchengiganten aus. Bisweilen als halbgarer Kompromiss, andernorts als schützende Hand der Festivalleitung verstanden, versah man ganze 56 Filme mit dem offiziellen Cannes-Label, denen man mit dem Cannes-‚Gütesiegel‘ einen Vertrauensvorschuss beim Publikum zu verleihen suchte. Das prominenteste Beispiel ist sicher Thomas VinterbergsAnother Round, der schließlich offiziell in Toronto Premiere feierte und dem dänischen Filmemacher einen Oscar als Bester Internationaler Film einbrachte. Das Erteilen des Cannes-Siegels für diese Auswahl an Filmen konnte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine Vielzahl an Filmen, die 2020 in Cannes erwartet werden konnten, angesichts einer Streaming-Auswertung zurückgezogen werden, so zum Beispiel Wes Andersons heiß erwarteter The French Dispatch.

Nicht zuletzt aufgrund dieser Zurückhaltung im Vorjahr liest sich die Auswahl 2021 vielleicht noch ein bisschen eindrucksvoller als man es ohnehin von den Filmfestspielen gewohnt ist. Ganze 24 Filme finden sich allein im Wettbewerb, der nicht so sehr von großen Namen gespickt wie vielmehr durchzogen ist. Da wäre zum einen Leos Carax, der mit Annette seinen ersten Film seit dem fulminanten Holy Motors (2012) vorlegt. Der Eröffnungsfilm des diesjährigen Wettbewerbs bildet gleichzeitig die englischsprachige Premiere des französischen Ausnahmeregisseurs und kommt mit Adam Driver und Marion Cotillard hochkarätig besetzt daher. Dann ist da Apichatpong Weerasethakul, der mit Memoria erstmals seit Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives (2010), der ihm seinerzeit die Palm d’Or berscherte, in den Cannes-Wettbewerb zurückkehrt. Wie Carax feiert auch Weerasethakul sein englischsprachiges Debüt und konnte mit Tilda Swinton eine Darstellerin mit ähnlicher Strahlkraft gewinnen. Und auch mit Paul Verhoevens Benedetta wird zu rechnen sein, ein Historiendrama basierend auf der Forschung der Historikerin Judith C. Brown unter dem Titel Immodest Acts – The Life of a Lesbian Nun in Renaissance Italy.

Gleichermaßen vielversprechend im vom Jurypräsidenten Spike Lee übersehenen Wettbewerb erscheinen darüber hinaus Julia Ducournaus mit Spannung erwarteter Nachfolger zum fulminanten Raw, Titane, Mia Hansen-Løves (Things to Come) Bergman Island, Sean Bakers (The Florida Project) Red Rocket, Ryusuke Hamaguchis (Wheel of Fortune and Fantasy) Adaption der Murakami-Kurzgeschichte Drive my Car, Ildikó Enyedis (On Body and Soul) The Story of my Wife, Asghar Farhadi (The Salesman) A Hero, Nadav Lapids (Ahed’s Knee), der nach dem Gewinn des goldenen Bären 2019 für Synonymes nun erstmals auch im Wettbewerb von Cannes zugegen ist, oder Nanni Morettis (The Son’s Room) Third Floor.

Um den vielen Einsendungen an Filmen gerecht zu werden, hat man in der Festivalleitung um Thierry Fremaux dieses Jahr die Sektionen Un Certain Regard und Director’s Fortnight noch um eine weitere, große Sektion ergänzt, die den Namen Cannes Premiere trägt. Während in Un Certain Regard alle Augen auf Kogonadas After Yang gerichtet sein werden, in dem der koreanisch-amerikanische Filmemacher nach seinem zärtlichen-leisen Columbus abermals mit Haley Lu Richardson zusammenfindet und zudem noch Colin Farrell für das Projekt gewinnen konnte, dürfte Joanna Hoggs Part II ihres autobiographischen The Souvenir die Aufmerksamkeit der Director’s Fortnight monopolisieren.

In der neugeschaffenen Premiere-Sektion finden sich hingegen noch erstaunlich große Namen, deren Beiträge aber vermutlich eher als Nebenwerke anzusehen sind: Oliver Stone blickt in JFK Revisited: Through the Looking Glass in dokumentarischer Form auf seinen Klassiker aus dem Jahr 1991 zurück, während Andrea Arnold, die gleichzeitig als Jurypräsidentin der „Un Certain Regard“-Sektion fungiert, mit ihrem dokumentarischen Cow, ein intimes Porträt aus dem Leben zweier Kühe, starke Gunda-Vibes versprüht. Hinzu kommt noch der nur in seiner Unberechenbarkeit berechenbare Gaspard Noé, der mit Vortex seinen ganz eigenen Corona-Film gedreht hat und dafür niemand Geringeren als Dario Argento vor die Kamera gekriegt hat. Und dann ist da natürlich noch Workoholic Hong Sang-soo, der mit In Front of Your Face erneut unter Beweis stellt, wie seine Arbeitswut mittlerweile ins Groteske abgleitet. Und was genau darf man von Mamoru Hosodas Belle erwarten, der just zwei Tage vor Festivalbeginn noch dem Programm hinzugefügt wurde?

Wenn sich am Dienstag, dem sechsten July 2021, die Filmwelt einmal mehr rund um das Palais des Festivals et des Congrès de Cannes versammelt, wird vieles anders sein als in letzten 70 Jahren. Die Atemschutzmasken werden ebensowenig wegzudenken sein wie die täglichen PCR-Tests für all jene, die noch nicht vollständig geimpft sind. Und doch, so erhärtet sich der Eindruck, ist man dieses Jahr mehr als alles andere darum bemüht, die Normalität wiederzufinden, die uns allen seit dem Frühjahr 2020 ein Stück weit abhandengekommen ist.

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