Erwähnungen
Jahresrückblick - Souli
Von siBBe in Der große Jahresrückblick der MB-Redaktion 2016
am Samstag, 31 Dezember 2016, 11:28 Uhr
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DIE TOP 10 FILME 2016:
1. Toni Erdmann
Hier gibt es keine Vorspiegelung falscher Tatsachen, keine Verklausulierung, jede filmische Ebene, jedes Tableau, jede Regung, spricht hier die Sprache der Authentizität. Und diese Authentizität, dieser Naturalismus, ist unglaublich. Unglaublich bissig, unglaublich ehrlich, unglaublich ergreifend, unglaublich lustig, unglaublich schmerzhaft.
2. Wiener Dog
Wiener Dog ist – auch das ist charakteristisch für Todd Solondz – an Menschen interessiert, die sich in existentiellen Einbahnstraßen befinden. Menschen, die sich aus Bequemlichkeit oder aus Angst in Sackgassen haben treiben lassen und dem bitteren Verlauf ihrer Lebenslinien nun insgeheim nachtrauern, weil ihnen nur Einsamkeit geblieben ist. Offen ansprechen würde es natürlich niemand, die Lebenslüge ist hier der profilneurotische Status quo.
Der Vulkan als transzendente Erfahrung. Und ausgehend von diesem Gedanken, dass im pyroklastischen Strahl Leben und Tod in einem ganz und gar reziproken Verhältnis verweilen, erschafft Werner Herzog mit In den Tiefen des Infernos erneut ein großes, ja, zuweilen gar lyrisches Werk über das Wesen der Natur, den Menschen und darüber, dass sich beide Parteien immer im Klaren über ihre ewig währende Verbindung sein sollten.
4. Raum
Room ist so unheimlich wuchtig in seiner Schönheit und seinem Schmerz, dass die einfache Erkenntnis, über die alleinige Entscheidungsmacht zu verfügen, welche Türen man öffnet und welche man schließt, wahrhaft ergreifend auf den Zuschauer einwirkt. Und Brie Larson? Die Frau ist ein Segen für die Schauspielwelt. Die Meisterschaft ihres Können liegt in ihrer aufopferungsvollen Natürlichkeit. Bravourös.
5. The Lobster
Böse kann man Lanthimos über seine Umsiedlung nicht sein, schließlich ist er nicht in Hollywood gelandet, sondern machte mit The Lobster einen wunderbaren, eigenartigen Indie-Film, der ihm dieses Jahr wohl viele neue Fans gewinnen konnte. Seine absurde Tragikomödie über eine dystopische Gesellschaft, in der Singles in einem Resort-Hotel innerhalb von 40 Tagen einen Partner finden müssen, ansonsten werden sie in ein Tier verwandelt, ist genial gespielt und inszeniert.
Ohne Frage, es macht Spaß, diesem Film zu folgen, weil er nicht nur die üblichen Tarantino-Manierismen voller dialogisch-ästhetischem Schwung auf die Leinwand knallt, sondern auch, weil er den Zuschauer durch sein formidables Handwerk ohne Anlaufschwierigkeit in die Leinwand zieht. Weit über 20 Jahre dürfen wir nun Zeuge davon werden, wir sich Tarantino quer durch die Popkultur fräst und paraphrasiert, und sein Hunger scheint noch lange nicht gestillt. Zum Glück, möchte man angesichts The Hateful Eight meinen.
Was als konventionelles Abenteuer in ein entlegenes Gebiet beginnt, um eine Frau aus den Fängen von einer Horde Troglodyten zu befreien, wandelt sich nach und nach zu einer Reise ins Herz der Finsternis. Und das ist wörtlich zu nehmen. Der knarzige US-Western um vier Mannsbilder in der spröden Natur bedient sich nach und nach den Mechanismen der Exploitation – und es steht ihm. Der Geschmack von Blut auf der Zunge macht sich breit und der Atemrhythmus passt sich der unbehaglichen Stimmung an: Erst normal, dann immer flacher, bis nur noch ein Todesröcheln bleibt.
8. Der Schamane und die Schlange
Das ewige Grün des Urwalds strahlt, schreit, greift hier regelrecht aus der markanten Schwarz-Weiß-Ästhetik heraus und erklärt den mythologisierten Dschungel zur transzendentalen (Selbst-)Erfahrung, zur Werkstätte Gottes, hermetisch im Herzen der Finsternis verschlossen. Hier verlieren sich Menschen, hier finden sich Menschen, hier werden Menschen wiedergeboren.
Selten war ein derartiger Detailreichtum in den digitalen Visualisierungen auf der Leinwand zu bestaunen. All die Lebewesen, vom quirligen Stachelschwein zum imposanten Dickhäuter, sowie die exotischen Pflanzen im verwinkelten Geäst, evozieren eine wunderbar pittoreske Natürlichkeit. Da verstummen auch die Diskussionen, die sich mit Sinn und Unsinn, mit Notwendigkeit und Entbehrlichkeit dieser Produktion befassen, denn wenn Coming-of-Age und Integration schon so inspiriert und begeistert im Kinosaal erfahrbar sind, dann sollte man sich einfach fallen lassen.
10. Triple 9
Kartografische Schnittstellen werden fein-säuberlich abgesteckt, Atlanta erwacht zum pumpenden Körper und in ihm findet sich ein System, in dem alles verzahnt, geschichtet, auseinander getrieben und ganz eng zusammen gepresst scheint. Fluchtwege und Sackgassen spiegeln sich und verwachsen. Es ist ein von Korruption vergifteter und von Hektik angefeuerter Wust, bei dem Hillcoat niemals die Übersicht verliert, stattdessen liefert er einen der formal eindrucksvollsten Cop-Thriller des neuen Jahrtausends.
DIE FLOP 5 FILME 2016
1. Suicide Squad - SuicideSquad ist genau Konfektionsware, er ist generisch, unfassbaruninspiriert und seine Versprechungen, hier mal wirkliche Bösewichtein den Hauptrollen fungieren zu sehen, bleibt peinliche Behauptung.
2. Hardcore - AlsGimmickfilm, der Hardcore nun mal ist, nutzt sich dasungezähmte GoPro-Gewackel relativ zügig ab und vor derLeinwand expandiert zusehends der Eindruck, man würde jemandembeiwohnen, der voller Euphorie den neusten Ego-Shooter spielt – manselbst jedoch ist zum Zusehen verdammt.
3. The Nice Guys - Russell Crowe und Ryan Gosling harmonieren, keine Frage, ansonsten ist diese Neo-Noir-Posse schrecklich ineffizient, weil Shane Black sich mit einer viel zu komplizierten Geschichte aufhält, anstatt für die parodistischen Vollen zu schlagen.
4. Creed - Rocky's Legacy - Creed – Rocky's Legacy verkommt dramaturgisch zur formelhaften Checkliste, arbeitet sich nach simplen emotionalem Kalkül an den Bausteinen des From-Zero-to-Hero-Narrativ entlang und führt in seiner mutlosen Komfortzone schlussendlich vor allem eine Sache im Schilde: Sylvester Stallone ausgiebig den Bauch zu pinseln.
5. Deadpool - Sein selbstreferenzielles Spiel mit der Erwartungshaltung des Publikums versandet frühzeitig schon im Status Quo kontemporärer Superheldenverfilmungen, deren festgefahrene Erzählmechanik man hier doch eigentlich nach Strich und Faden unterwandern wollte. Deadpool bettelt vielmehr in exponierter Schlaumeier-Attitüde mal mehr, mal weniger enervierend um Anerkennung, wenn er plakativ mit sich und seinem Medium Posse treibt, um das Genre in seinen Konventionen dann doch immer wieder zu bestätigen.
GEHEIMTIPPS AUS DEM JAHR 2016:
Entertainment - Rick Alverson entledigt sich jedwedem Anspruch auf eine strukturalistische Entfaltung: Entertainment ist im besten Sinne anti-dramaturgisch undentscheidet sich, wie schon The Comedy, dafür, den namenloserKomödianten durch einzelne Episoden seiner gescheiterten Existenz zufolgen. Besonders auffällig ist dabei, mit welchem Gespür für die Geographie des Bildkaders Alverson seine Hauptfigur beschreibt:Zuerst kaum merklich, später aber unzweifelhaft, setzt Alverson den Komödianten im Klammergriff bedrückender Isolation in Szene
Der Bunker - Lebendiges Genre-Kino aus Deutschland, welches sich wenig darum schert, nach den Regeln zu spielen. Der Bunker entwickelt im Verlauf seiner Handlung eine ungemein diffuse Stimmung, irgendwie ungreifbar angelegt zwischen Unbehagen, schallendem Gelächter, gutturalen Lauten, Totalitarismus und detailverliebter Skurrilität.
Wild - Experimentelles Emanzipationskino. Es geht um sexuelle Begierde, um Machtstrukturen, um emotionale Befreiung. Wild beschreibt die Abkehr von der krankhaften wie krankmachenden Gesellschaft als Zuwendung zum Triebhaften, Instinktiven, Urwüchsigen. Das ist, der Titel sagt es, tatsächlich wildes Kino. Angereichert mit Menstruationsblut, Kacke undSperma.
10 MOST WANTED FILME 2017:
D'aprèsune histoire, vraie
Happy End
MEIN SERIENJAHR 2016:
In Erinnerung wird mir in diesem Jahr nicht nur die hervorragenden zweiten Staffeln von Narcos und Daredevil bleiben, sondern natürlich auch die sechste Season von Game of Thrones, die angemessene Widergutmachung gegenüber der äußerst enttäuschenden fünften Staffel im Vorjahr geleistet hat. Außerdem stand 2016 im Zeichen von guter bis sehr guter Sitcoms: Nicht nur habe ich Modern Family und Brooklyn Nine-Nine schätzen gelernt, ich habe mit Malcolm Mittendrin und Die wilden Siebziger (hier jedenfalls die ersten vier Staffeln) alte Lieben erneut aufflammen lassen können. Dass ich mich zudem an The Walking Dead herangewagte, haben mir die ersten vier Staffeln auch durchaus gedankt, mit Staffel 5 allerdings habe ich so meine Probleme momentan. Wollen wir mal sehen, wohin Reise noch gehen wird.
FAZIT:
Im allgemeinen Kanon heißt es, das Jahr 2016 wäre qualitativ unterdurchschnittlich geraten. Ja, sogar von einem erdrutschartige nGefälle ist da oftmals die Rede: Die kulturpessimistische Keulejedenfalls schwang und schwang. Das allerdings kann ich nichtbestätigen, denn ein Jahr, in dem Filme wie Toni Erdmann, Wiener Dog, Raum und The Lobster das Licht der Leinwand erblicken durften, kann einfach nicht schlecht sein. Nicht wirklich. Und es war auch nicht schlecht, was im Umkehrschluss selbstredend nicht bedeutet, dass 2016 nicht eine Vielfalt an Debakeln heraufbeschwört hat – mit Sicherheit. Die Glücksgefühle aber überwogen. Kino ist und bleibt Leidenschaft.
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