Erwähnungen
Kurzdokumentationen und das innovative Kino
Von Vitellone in Die Diagonale 2024 auf Moviebreak
am Donnerstag, 04 April 2024, 14:03 Uhr
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Zu den größten Publikumsattraktionen darf man beide Sektionen wahrlich nicht zählen. Sowohl der Kurzdokumentarfilm als auch das innovative Kino fristen ein Nischendasein und finden außerhalb von Festivalkontexten nur sehr vereinzelt statt. Die Diagonale widmet beiden Segmenten einen eigenen Wettbewerb und zeigt damit, wie filmische Formate auch abseits von bekannter Dramaturgie und Laufzeit aussehen können. Gemessen an den beiden Programmen, auf die in den folgenden Zeilen näher eingegangen wird, bleibt jedoch die Frage offen, nach welchen Kriterien und Umständen sich ein Film bei der Programmierung eindeutig in die eine oder in die andere Sparte zuordnen lässt. Alle Beiträge sind formal interessant und heben sich von einer gewissen Norm, Filme zu bebildern und Geschichten zu erzählen, ab. Ob das bereits innovativ ist, liegt sicherlich im Auge der Betrachter*in. Und auch die Grenzen vom Dokumentar- zum Spiel- und vor allem Essayfilm sind oftmals fließend.
Im Innovatives Kino Programm 10 gab es zunächst den Kurzfilm Testudo Hermanni zu sehen, in dem das Leben der Schildkröte Tony vor Alpenpanorama gezeigt und damit subtil auf die Gefahren des Klimawandels hingewiesen wird. Im beschaulichen österreichischen Dorf, in dem Kathleen, die Mutter des Regisseurs (G. Anthony Svatek), über Tony wacht, merkt man davon noch wenig. Doch Tony, der seinen Winterschlaf aufgrund der unstabilen Temperaturen im Kühlschrank fristet, wird noch bis 2090 leben – oder eines Tages nicht mehr aus seinem langen Schlaf erwachen, weil niemand mehr da ist, der sich um ihn kümmern kann. Untermalt wird das von den Klängen Mozarts, um die Tragweite dieser angedeuteten Dramatik spürbar zu machen.
Auch im darauffolgenden Langfilm geht es um die Tierwelt und deren Wechselwirkung zu den Menschen. Moretones erzählt von Tonos, geisterhaften Tierwesen, die mit den Einwohner*innen Mexikos symbiotisch verbunden sind. Ginan Seidl und Daniel Ulacia Balmaseda erwecken die mystischen Hybridwesen auf der Leinwand zum Leben und regen in ihren Bildern einen Diskurs über das Verhältnis von Mensch und Tier an. Das ist in seiner mäandernden Form durchaus reizvoll, erfordert über 89 Minuten aber eine Konzentration, die nicht alle Zuschauer*innen an diesem Festivalvormittag aufbringen konnten. Vielleicht waren die Bilder letztlich doch zu unpräzise, zu oft Wiederholung eines ähnlichen Gedankens, um über die volle Spielzeit zu tragen.
Das Kurzdokumentarfilm Programm 3 besticht vor allem durch seine Kuration. Die gezielte Anordnung und Zusammenstellung der drei Filme erzeugt eine eigene Dramaturgie, welche die Ähnlichkeiten und Unterschiede der einzelnen Filme bewusst betont. Beginnt Angelika Reitzers abstechen noch im grobkörnigen Super8-Format, vollenden mit Von Drachen und Hasen von Lisa Hasenhütl und getty abortions von Franzis Kabisch zwei Desktopfilme das Programm. Dabei ist Von Drachen und Hasen als Bindeglied essentiell, da sich dieser mit abstechen ein Thema (die Auseinandersetzung mit dem eigenen Vater) und mit getty abortions die bereits angesprochene Form als Desktopfilm teilt. Dadurch entsteht eine zusätzliche Verbindungsebene, von der alle drei Filme profitieren. Es ist schade, dass man sie in dieser Zusammenstellung wohl nie mehr sehen wird.
Sehenswert sind alle drei Filme jedoch auch für sich allein. Allen drei Regisseurinnen liegt ein persönlicher Ausgangspunkt zugrunde und damit verbunden auch die Frage, wie es möglich ist, diesen in Bilder zu packen. Egal ob es das Schlachten von Schweinen, das Abarbeiten am eigenen Vater oder die mediale Darstellung von Abtreibungen ist, man spürt, dass diese Geschichten erzählt werden wollen, erzählt werden müssen. Das ist mal lustig, mal traurig, mal schockierend – oft alles drei zugleich. Ein Programm, das neugierig macht, was im Kurzdokumentarfilm noch alles möglich ist. Ein Plädoyer dafür, dieser filmischen Form mehr Platz einzuräumen.
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